Zürich: Grundlagenpapier AG Migration

Die AG Migration verfasste dieses Grundlagenpapier rund um Migrationsthemen in der Soziale Arbeit. Die AG setzt sich mit aktuellen Herausforderungen im Migrationsbereich auseinander wie dem neuen Asylgesetzt, dem Integrationsgesetz und der Eröffnung des Bundesasylzentrums in Zürich.
Gerne können sich interessierte Personen zur Mitarbeit an kontakt@kriso.ch wenden.


Grundlagenpapier Kriso / AG Migration

Forderungen an die Soziale Arbeit im Asylbereich

Einleitung

Schon länger herrscht eine Politik des Ausschlusses sowie der Entrechtung von geflüchteten Menschen und es findet eine territoriale Abschottung statt, die sich sehr deutlich am Beispiel der Aussengrenzen von Europa zeigt. Migration wird somit bewusst reguliert. Die Personen, denen dennoch die Flucht nach Europa gelingt, stossen auf einen kühlen Empfang: Langes Warten durch bürokratische Abläufe, fragwürdige Zustände bei der Unterbringung, strukturelle Ausgrenzung hinsichtlich Gesundheitsversorgung, Bildung, Wohnen, Arbeit. Zugänge zu gesellschaftlicher, geschweige denn politischer Teilhabe sind kaum möglich. Darum weisen wir mit den folgenden sechs Punkten Sozialarbeitende auf eine kritische Praxis im Asylbereich hin.

1. Inklusion statt Exklusion

Sozialarbeitende dürfen nicht missbraucht werden, um das aktuelle repressive Klima gegenüber Geflüchteten in der Praxis umzusetzen.

Die Soziale Arbeit muss ihrem Anspruch treu bleiben, sich für die Inklusion ihrer Zielgruppen einzusetzen. Wir lehnen die einseitige Integrationsforderung an Geflüchtete ab, insbesondere in Anbetracht der expliziten staatlichen Exklusion vieler geflüchteten Personen. Es ist nötig, Sensibilisierungsarbeit bei der Bevölkerung zu leisten, um das gegenseitige Verständnis zu fördern und negative Vorurteile zu bekämpfen. Die Soziale Arbeit muss eine rechtliche Inklusion als logische Voraussetzung für die soziale Inklusion von Geflüchteten einfordern. Sonst machen sich Sozialarbeitende zu Kompliz*innen eines ausschliessenden Staates, welcher zusätzlich die Schuld für die Exklusion an die Geflüchteten abschiebt.

2. Betreuung statt Verwaltung

Die schleichende Ökonomisierung der Sozialen Arbeit verunmöglicht die angemessene Beratung und Unterstützung durch Sozialarbeitende. Zudem verlangt das politische Klima, welches Geflüchtete als Gefahr und Belastung für die Gesellschaft darstellt, zusehends kontrollierend-­‐sicherheitsdienstliche und privatwirtschaftlich-­‐verwaltungsbezogene Tätigkeiten von den Sozialarbeitenden. Dies degradiert die Soziale Arbeit zur Repressionsagentur.

Wir fordern eine Soziale Arbeit, bei der die Würde der Klient*innen im Zentrum steht. Dies bedingt, dass mit dem nötigen finanziellen und zeitlichen Aufwand auf Einzelsituationen eingegangen werden kann und sich die Sozialarbeitenden für ihre Zielgruppe einsetzen können. Die Soziale Arbeit soll sich auf die Betreuung und Ermächtigung von Individuen fokussieren statt auf die Verwaltung entmündigter Klient*innen durch die asymmetrischen Machtverhältnisse einer Expertokratie. Das Aufzeigen struktureller Ursachen sozialer Probleme darf nicht mit der Entpolitisierung Sozialer Arbeit durch eine objektiv-­‐quantitativ messbare Verwaltungstätigkeit vertuscht und somit auf die betroffenen Individuen abgeschoben werden.

3. Förderung von Selbständigkeit statt Abhängigkeit

Geflüchtete Personen werden durch rechtliche Hürden an der gesellschaftlichen Teilnahme gehindert. Sie werden in Abhängigkeit von staatlichen Leistungen unter Kontrolle gehalten. Die Hindernisse beim Zugang zum Arbeitsmarkt, Bildungswesen, Wohnungsmarkt, Rayonverbote, Melde-­‐ und Anwesenheitspflicht, Reiseverbote etc. sind Ausdruck davon. Die Verweigerung gesellschaftlicher Teilhabe wird ihnen dann als fehlender Integrationswille vorgehalten. Diese zynisch-­‐paternalistische Haltung wird ebenso von Unterstützungsangeboten vertreten, welche Geflüchteten absprechen, für sich selbst einstehen zu können. Beide bestärken die Machtasymmetrie, ob in der Darstellung von Geflüchteten in Form von böswilligen Sozialschmarotzern oder als handlungsunfähige Opfer.

Die Soziale Arbeit soll auf die Entrechtung und Entmächtigung von Geflüchteten und deren Folge hinweisen. Die Soziale Arbeit fördert die aktive Beteiligung und Selbstermächtigung von Geflüchteten. Ihre Fähigkeiten und Kompetenzen und die Form, wie sie diese in der Gesellschaft einsetzen können, soll im Zentrum stehen. Die Soziale Arbeit fördert eine selbständige Lebensführung aller geflüchteten Personen, ohne dabei den Bedarf nach Unterstützung zu vernachlässigen.

4. Eigenen Handlungsspielraum erkennen und nutzen

Als Sozialarbeitende im Asylbereich wird unsere Arbeit durch die strukturellen Rahmenbedingungen beeinflusst. Diese Situation ist oft unbefriedigend und kann kurzfristig kaum geändert werden.

Aus diesem Grund muss die Soziale Arbeit ihren Handlungsspielraum nutzen und die Reflexionsfähigkeit am Arbeitsort und in den Hochschulen fördern.

5. Mehr Qualität statt Wettbewerb

Getreu dem New Public Management werden auch im Asylbereich zusehends staatliche Aufträge an Sozialunternehmen, Stiftungen und NGOs mit wirtschaftlich orientierten und qualitativ zweifelhaften Angeboten vergeben. Die Verwischung von Verantwortlichkeit des Staates durch die Delegation an Private fördert die Wahrscheinlichkeit von Missständen. Die Qualitätsabstriche erfolgen insbesondere bei der kostenintensiven Betreuung. Im Asylwesen muss kaum mit Widerstand von Betroffenen gerechnet werden. Die Kosteneinsparungen sind für Geflüchtete besonders problematisch, da sie häufig von prekären Lebens-­‐ und Fluchtumständen betroffen sind und somit besonders auf fachkundige Betreuung angewiesen wären.

Stopp dem Wettbewerb auf Kosten von Geflüchteten! Statt Wettbewerbsfähigkeit müssen die Bedürfnisse der Betroffenen im Zentrum der Sozialen Arbeit stehen. Wir fordern, dass die angemessene Betreuung von Einzelpersonen und den Einsatz für die gesellschaftliche Teilhabe der jeweiligen Zielgruppe die Soziale Arbeit im Asylbereich bestimmt. Soziale Arbeit darf nicht an quantitativen, sondern muss an fachlich-­‐ qualitativen Kriterien gemessen werden.

6. Gesellschaftliche Verhältnisse ändern

Die Soziale Arbeit wird stark von politischen Entscheidungen beeinflusst. Es ist nötig, dass die Sozialarbeitenden den politischen Kontext analysieren und hinterfragen.

Sozialarbeitende müssen sich organisieren um Missstände offen zu legen, diese zu bekämpfen und an besseren Rahmenbedingungen für eine parteiliche Soziale Arbeit zu arbeiten. Denn ohne das kritische Beleuchten gesellschaftlicher Rahmenbedingungen bleibt Soziale Arbeit im Asylbereich zwangsläufig Symptombekämpfung.

AG Migration