Artikel im SozialAktuell: Kooperation zwischen Offener Jugendarbeit und Polizei

Eine Kritik am Beispiel des Runden Tisches

Text: Martina Amrein, Sibille Hartmann und Julia Schmid Bild: Andreas Stix/pixelio.de

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Die Vernetzung von Offener Jugendarbeit und Polizei findet vermehrt institutionalisiert am Runden Tisch statt. Dieser wird regional unterschiedlich gestaltet, fungiert aber meist als Gremium der Gewalt- und Kriminalitätsprävention und als Frühwarnsystem. Bei der Mitwirkung läuft die Offene Jugendarbeit Gefahr, grundlegende Arbeitsprinzipien aufzugeben.

Die Sozialraumorientierung hat eine Wende in die Offene Jugendarbeit gebracht, die sie professionalisiert und fachlich modern erscheinen lässt. Das Arbeitsprinzip der Vernetzung mit institutionellen Akteuren, die in den Lebenswelten von Jugendlichen eine Rolle spielen, ist eine Selbstverständlichkeit geworden, bis hin zum Selbstzweck. Die Jugendarbeit muss die Ziele der Vernetzung bewusst und kontextgerichtet im Interesse der Jugendlichen definieren. Ansonsten bleibt sie ein Arbeitsprinzip, das hauptsächlich die Sichtbarkeit und Anerkennung der Offenen Jugendarbeit bei institutionellen Akteuren, in der Politik und bei der Bevölkerung erhöht. Jugendarbeitende müssen sich im Austausch mit anderen, insbesondere repressiven Akteuren, auf das Selbstverständnis und die Arbeitsprinzipien der Offenen Jugendarbeit besinnen und an diesen festhalten. Dabei sind primär die Freiwilligkeit und Parteilichkeit zu nennen. In einer Zeit, in der soziale Kontrolle vermehrt und systematisch von (repressiven) institutionellen Akteuren übernommen wird, ist es angebracht, dass die Offene Jugendarbeit parteilich im Interesse der Jugendlichen agiert. Auch da diese oftmals über wenig Macht(-mittel) verfügen. War das Prinzip der Parteilichkeit früher selbstverständlich, muss es heute tendenziell einer gemeinwohlorientierten Allparteilichkeit weichen. Diese ergibt sich aus der politisch- institutionell, aber auch fachlich geforderten intermediären (Vermittlungs-) Position, welche die Jugendarbeit einnehmen soll. Zu den jugendrelevanten Akteuren zählt auch die Polizei. In einigen Schweizer Korps gibt es auf kantonaler wie auch auf Gemeindeebene Abteilungen, die auf die Arbeit mit Jugendlichen spezialisiert sind (Jugenddienst). Ein Arbeitsansatz des Jugenddienstes ist die Prävention, die von der Stadtpolizei Zürich z. B. wie folgt beschrieben wird: «Bei den mehrmals wöchentlich durchgeführten Patrouillen werden gezielt Treffpunkte Jugendlicher aufgesucht, Gespräche mit den Kids geführt, Kontakte zu Jugendarbeitern geknüpft und vertieft […].»1 Die Arbeitsweise des Jugenddienstes der Kantonspolizei Zürich beruht auf den vier Säulen Prävention, Intervention, Ermittlung und Vernetzung. «Das Kennen aller in der Jugendarbeit eingebundenen Institutionen, der intensive Informationsaustausch und auch gemeinsam durchgeführte Aktionen sind vertrauensbildend und wirken sich nicht zuletzt auch auf das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung aus.»2 Besonders am Beispiel der Polizei ist die Vernetzungstätigkeit der Offenen Jugendarbeit kritisch zu hinterfragen. Wobei diese Vernetzung in verschiedenen Formen stattfinden kann. Sie entsteht im öffentlichen Raum, wo sich Beamte und Jugendarbeitende spontan begegnen. Manchmal kommt es vor, dass Beamte eine Jugendeinrichtung (unangemeldet) besuchen. Oder die Vernetzung findet organisiert am sogenannten Runden Tisch statt. Dieser dient in der Stadt Zürich z. B. der Gewaltprävention bei Jugendlichen und soll über die beteiligten Akteure als Frühwarnsystem funktionieren (Kerngruppenmodell der Stadt Zürich). Über den Informationsaustausch und geplante Interventionen wird abweichendes Verhalten von Individuen und Gruppen vorbeugend zu verhindern versucht.

Treffpunkt Runder Tisch

Runde Tische setzen sich aus unterschiedlichen regionalen Akteuren zusammen. Neben Jugendarbeit und Polizei können die Schule, die Schulsozialarbeit, der Schulpsychologische Dienst, die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörden, die Quartierarbeit, die Kirche, das Sozialamt usw. vertreten sein. Für alle Akteure stellen Jugendliche eine mehr oder minder zentrale Zielgruppe ihres Handelns dar. Alle aber haben sie andere institutionelle Hintergründe, Aufträge, Zielsetzungen und somit auch Interessen. Sie nehmen also jeweils eine spezifische Funktion und Rolle im Gremium ein. Auch die Erwartungen und Ziele der Vernetzung dürften sich unterscheiden.  So agiert die Polizei vor dem Hintergrund ihres Auftrags, Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten. Dabei zählt die Vernetzung mit den Jugendarbeitenden methodisch zur Präventionsarbeit, die u.a. eine erfolgreiche Ermittlungstätigkeit erleichtert. Die Präventionsarbeit am Runden Tisch ist mit einem befremdend defizitorientierten Zugang zu Jugendlichen verbunden. Für eine kritische Jugendarbeit scheint die Form des Runden Tisches deshalb bereits im Grundsatz ungeeignet zu sein. Akteuren mit disziplinierenden und repressiven Arbeitsweisen wiederum bietet der Runde Tisch im Sinne der Prävention ein modern klingendes sozialpädagogisches Setting. Es ist der präventive Ansatz, der repressive Akteure und Offene Jugendarbeit einander annähern lässt, sodass Grenzen zwischen Aufträgen und Zielsetzungen verwischen.

Aspekt der Effizienz

Sozialpolitisch sind Runde Tische unter dem Aspekt der allerseits geforderten Effizienz interessant. Schnittstellen und Zuständigkeiten wie auch Interventionen und Massnahmen können durch die Akteure einfach und schnell geklärt werden. Alle kennen sich persönlich. Bei aller Menschlichkeit werden die unterschiedlichen Interessen zu einer vertrauten (widersprüchlichen) Einheit verflüssigt. Schliesslich wollen ja alle dasselbe: das Wohl der Jugendlichen. Ist das so? Nur schon darüber, wie dieses Wohl der Jugendlichen zu erreichen ist, müsste fachliche Uneinigkeit bestehen.

Umgehung der Vertraulichkeit

Obwohl regionale Unterschiede bestehen dürften, herrscht mit Runden Tischen ein Arrangement, das den Datenschutz und die Vertraulichkeit situativ rasch aushebeln kann. Besonders wenn Namen von Jugendlichen genannt werden dürfen oder sollen. Möglicherweise können Jugendarbeitende mit der Vernetzung an sich bewusst und kritisch umgehen. Das Problem verläuft jedoch doppelspurig. Erstens ist es falsch, Informationen über Jugendliche preiszugeben, wenn diese ihr Einverständnis nicht geben können bzw. selbst nicht anwesend sind. Zweitens ist es ebenso falsch, Informationen entgegenzunehmen, welche die Jugendlichen den Jugendarbeitenden nicht selbst anvertrauen. Wie sieht es aus, wenn der jugendarbeiterische Anspruch des vertraulichen Umgangs mit Informationen zu Jugendlichen während einer Sitzung übergangen wird? Selten wird wohl jemand den Raum verlassen, die Beziehung zu den Kolleginnen und Kollegen am Runden Tisch hindert einen daran. Es stellt sich die Frage, ob eine Jugendarbeit, die eines der wenigen auf Freiwilligkeit basierenden Felder der Sozialen Arbeit darstellt, an solchen Vernetzungsgremien partizipieren und zugunsten dessen, diese Freiwilligkeit aufgeben soll. An so manchen Runden Tischen findet ein offener Austausch statt. Es werden Jugendliche identifiziert, benannt, als problematisch eingestuft und stigmatisiert. Die Stigmatisierung beeinflusst das weitere Handeln der beteiligten Akteure und auch das des/der Jugendlichen selbst. Die Bearbeitung des «Problems» wird von den Akteuren gemeinsam besprochen, geplant und umgesetzt, fernab einer Mitbestimmung des/der Jugendlichen, also unfreiwillig.

Handlungsmöglichkeiten aus kritischer Perspektive

Aus den genannten Gründen kommt eine kritische Offene Jugendarbeit bezüglich der Teilnahme an Runden Tischen und der Kooperation mit der Polizei zum folgenden Schluss: Jugendarbeitende sollten sich weigern, an Gremien zu partizipieren, wenn diese so organisiert sind, dass sie den Arbeitsprinzipien und der fachlichen Haltung zuwiderlaufen. Aber immer seltener besitzen Jugendarbeitende den Handlungsspielraum, um die Entscheidung der Weigerung zu treffen. Runde Tische, welche die Vertraulichkeit nicht gewährleisten, sind vielerorts institutionalisiert und Bestandteil des bezahlten Auftrags. Dennoch darf die Offene Jugendarbeit nicht als Helferin polizeilicher Ermittlungstätigkeit agieren, ausser es handelt sich um eine eindeutige Notsituation. Ansonsten verliert sie das Vertrauen ihrer eigenen Zielgruppe und verunmöglicht die parteiliche Beziehung als Grundlage ihrer Arbeit. Wie können also die Prinzipien der Offenen Jugendarbeit trotz Teilnahme am Runden Tisch bewahrt werden? Wie müsste die fachlich bewusste Funktion der Jugendarbeit innerhalb des Gremiums aussehen? Die Antwort kann darin liegen, sich dafür einzusetzen, dass Runde Tische nur gemeinsam mit Jugendlichen durchgeführt werden; die Jugendlichen (Gruppen) zu informieren, wenn sie Thema am Runden Tisch sind; sich vehement der Entstigmatisierung der Jugendlichen zu verschreiben; repressive Dynamiken zu erkennen und dagegenzuwirken; die Möglichkeiten der Offenen Jugendarbeit aufzuzeigen, mit nicht repressiven Methoden zu arbeiten; die guten Seiten der (einzelnen) Jugendlichen zu vermitteln, ohne heikle Informationen preiszugeben. Weitestmögliche Transparenz wie auch Zustimmung der betroffenen Jugendlichen zu jeglichen Handlungsschritten der Jugendarbeitenden wären folglich Bedingungen. Inwiefern ein solches Agieren und eine solche Haltung letztlich auf das Gremium wirken, bleibt offen. Allgemein besteht die Herausforderung für die Offene Jugendarbeit darin, ihre fachlichen Haltungen und Arbeitsprinzipien anderen institutionellen Akteuren nachvollziehbar zu vermitteln. Dadurch kann es ihr gelingen, dass die anderen Akteure ihrer Abgrenzung in der Zusammenarbeit mehr Verständnis entgegenbringen können. Ausserdem gewinnt sie zugleich an fachlichem Selbstbewusstsein.

 

Am 27. Oktober 2014 findet in Zürich eine öffentliche Veranstaltung der Kriso zum Thema «Offene Jugendarbeit und die Zusammenarbeit mit der Polizei» statt. Gastreferent ist Prof. Dr. Titus Simon aus Stendal bei Magdeburg. Genauere Informationen sind ab Oktober unter www.kriso.ch zu finden.
Fussnoten
1 www.stadt-zuerich.ch
2 www.kapo.zh.ch
Literatur
Simon, Titus (2013). Einbindungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in Sicherheitspartnerschaften und Kooperationen mit der Polizei – eine kritische Abgrenzung. In Ulrich Deinet und Benedikt Sturzenhecker (Hrsg.): Handbuch Offene Kinder- und Jugendarbeit. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.Sturzenhecker, Benedikt (2000). Prävention ist keine Jugendarbeit. Thesen zu Risiken und Nebenwirkungen der Präventionsorientierung. Online abrufbar.