Am 15. Mai 2022 stimmen die Stimmberechtigten in der Stadt Zürich über die Züri City Card ab. Genauer wird über einen Rahmenkredit zu Vorbereitungsarbeiten zur Einführung der Züri City Card abgestimmt. Die Abstimmung wird auch in anderen europäischen Ländern mit Spannung erwartet und das Ergebnis könnte Signalwirkung auf andere Städte haben.
Die Züri City Card – ein Ausweis für alle Bewohner:innen der Stadt Zürich – soll Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus (Sans-Papiers) Rechte ermöglichen und Hürden der gesellschaftlichen Teilhabe abbauen. Doch was bedeutet dieser Ausweis für Menschen ohne Aufenthaltsstatus aus Sicht der Sozialen Arbeit und was bedeutet es für die Soziale Arbeit selbst?
Wir nennen im Folgenden Argumente für ein “JA” zu dieser Vorlage aus fachlicher Sicht und zeigen auf was bei einer Einführung und Umsetzung der Züri City Card geachtet werden sollte.
Die Soziale Arbeit muss gesellschaftliche Teilhabe für alle einfordern und verwirklichen. Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus sind jedoch häufig nicht auf dem Radar von sozialarbeiterischen Angeboten, da es nur selten einen staatlichen Auftrag dafür gibt. Dass es überhaupt Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus gibt, ist eine Folge von einer rassistischen und auf ökonomischen Interessen basierenden Politik. Es ist daher wichtig, das Dasein von Sans-Papiers in einem kapitalistischen, rassistischen und patriarchalen System einzuordnen. Die Migrationspolitik in der Schweiz, wie auch in Europa, verweigert Menschen ein würdevolles Leben und missachtet ihre Rechte und Bedürfnisse.
Die Abstimmung über die Züri City Card und die damit verbundenen Rechtsgutachten und öffentlichen Debatten erkennen die häufig sehr prekären Lebensrealitäten der Menschen und die damit verbundenen Ausschlussmechanismen an. Dies ist eine wichtige Voraussetzung zur Verbesserung der Situation von Menschen ohne Aufenthaltsstatus. Es kann helfen zusätzliche finanzielle Mittel zu erschliessen, welche es der Sozialen Arbeit ermöglicht bestehende Angebote für Sans-Papiers zu erweitern oder neue Angebote zu schaffen.
Die Züri City Card soll Schranken abbauen, sodass Menschen leichter städtische Angebote in Anspruch nehmen und mit weniger Angst am öffentlichen Leben teilnehmen können. Partizipation und Schutz vor Diskriminierungen sind wichtige Grundpfeiler sozialarbeiterischen Handelns und ermöglichen ein würdevolles Leben.
Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus können heute kaum am öffentlichen Leben teilnehmen. Alltägliche Dinge wie Einkaufen, Spazieren oder sich mit Freund:innen treffen sind mit der Angst und der realen Gefahr einer Polizeikontrolle verbunden. Die Teilnahme an kulturellen, religiösen oder politischen Veranstaltungen ist schwierig. Damit ist auch das Lernen der Sprache erschwert. Doch gerade Kriterien wie die berufliche und soziale Integration, die Sprachkenntnisse, der Integrationsstand der Kinder oder die Gesundheit sind bei Härtefallgesuchen entscheidend. Insbesondere haben auch Kinder und Jugendliche ohne geregelten Aufenthaltsstatus sehr erschwerte Startbedingungen. Kinder können zwar die Regelschule besuchen, jedoch ist dies ist mit viel Angst und Unsicherheit verbunden. Die Züri City Card soll auch in der Schule, bei Vereinsbesuchen oder beim Zugang zu Clubs Verbesserungen erwirken. Dies könnte zudem auch Menschen mit unsicheren Ausländerausweisen zu Gute kommen, da teilweise auch Menschen mit Ausweis N oder F Zutritte verwehrt werden.
In der Stadt Zürich existiert zwar ein breites Netz an Unterstützungsangeboten, zu welchem Sans Papiers jedoch aus unterschiedlichen Gründen nur schlecht Zugang haben. Somit bleiben vielen Menschen rechtliche, soziale oder psychologische Beratungen verwehrt. Eine Züri City Card könnte den Zugang zu Hilfsangeboten verbessern. Sans-Papiers arbeiten meist unterbezahlt unter prekären Verhältnissen in Privathaushalten. Es besteht häufig eine sehr starke Abhängigkeit zu ihren Arbeitgebenden. Deshalb ist es für sie enorm wichtig, sich Unterstützung holen zu können und sich beraten zu lassen.
Die Züri City Card hat auch eine wichtige symbolische Wirkung für die Menschen ohne Aufenthaltsstatus. Nach teilweise jahrelangem Leben ohne Papiere, fühlen sie sich häufig ausgeschlossen und ihnen fehlt die Anerkennung als Mensch mit einer Identitätskarte, mit Rechten und Bedürfnissen. Diese Karte könnte hier entgegenwirken und ein neues Zugehörigkeitsgefühl als Bürger:in der Stadt Zürich schaffen.
Noch offen ist, wie sich diese Karte auf die Angst vor polizeilichen Kontrollen auswirken könnte. Die Züri City Card sollte zwar bei Kontrollen durch die Stadtpolizei Zürich genügen. Doch bei Verdacht auf illegalen Aufenthalt, kann die Polizei nach weiteren Dokumenten fragen. Nach den vielen Erfahrungsberichten von Racial Profiling stellt sich hier die Frage, wie Menschen davor konkret geschützt werden können. Dies bringt uns auch zu konkreten Punkten, die besonders berücksichtigt werden müssen, damit die Züri City Card eine positive Wirkung entfalten kann.
Die Züri City Card braucht einen klaren Geltungsbereich. Es muss also klar sein, wann die Züri City Card als Ausweisdokument genügt und wann und wo nicht. Wenn im öffentlichen Raum trotzdem weiterhin ständig Polizeikontrollen lauern, dann entfällt eine entscheidende Wirkungskraft. Es braucht eine grosse Sensibilisierung der Bevölkerung. Die Züri City Card muss eine breite Verwendung von allen Zürcher:innen finden, damit sich die damit Ausweisenden nicht als Sans-Papiers zu erkennen geben. Zudem braucht es eine unabhängige Beobachtungsstelle, die überwacht wie die öffentlichen Instanzen, beispielsweise die Polizei oder auch Ämter mit der Züri City Card umgehen. Weiter ist langfristig eine kollektive Regularisierung der Sans-Papiers anzustreben.
Zudem fordern wir eine rasche und überlegte Umsetzung! Die prekären, menschenrechtsverletzenden und unwürdigen Zustände müssen sich rasch ändern. Eine jahrelange Verzögerung durch parlamentarische und bürokratische Abläufe wäre fatal. Schon viel zu lange, leben Menschen ohne Rechte und im Versteckten in unsere Gesellschaft. Deshalb an alle Stimmberechtigten in der Stadt Zürich, stimmt JA zur Züri City Card! -> Für weiterführende Überlegungen zum Thema der staatlichen und innenpolitischen Grenzziehungen findet ihr ein Text in der Kriso Zeitschrift „Plattform – Zeitschrift für kritische Soziale Arbeit“ (Ausgabe Herbst 2020): 10_Plattform_Kriso-Herbst_2020.pdf