Das Forum für kritische Soziale Arbeit (KRISO) positioniert sich mit diesen Thesen gegen das Projekt «Tagesschule 2025».
Das Projekt TGS25 ist ein Spar- und Abbauprogramm
Die grundsätzliche Idee einer Tagesschule als Instrument, um Chancengerechtigkeit zu erhöhen, ist zu begrüssen. Das Projekt «Tagesschule 2025» (TGS25) der Stadt Zürich hat aber nicht viel mit dieser progressiven Idee zu tun – im Gegenteil wird ausserschulische Förderung und Betreuung abgebaut. Das Hauptinteresse hinter dem Projekt ist ein neoliberales Spar- und Abbauprogramm für die ausserschulische Betreuung (Horte). Das Projekt «Tagesschule 2025» verschlechtert damit die Arbeitsbedingungen der Betreuenden, die Betreuungsqualität für die Kinder und das Schulklima. Und insgesamt bedeutet das Projekt eine fachliche Dequalifizierung der Sozialpädagogik und der Betreuung.
Das Projekt TGS25 ist eine neoliberale Mogelpackung
Obwohl die Betreuenden in der Praxis den Abbaucharakter des Projekts TGS25 kritisieren, wird es momentan von Politiker*innen mehrheitlich unterstützt. Das hat verschiedene Gründe.
Die TGS25 wurde als politischer Kompromiss mit offiziell drei Hauptzielen durchgesetzt: Ökonomische Einsparungen, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Chancengerechtigkeit. Das erste Ziel interessiert die Wirtschaft, das zweite Ziel interessiert die Wirtschaft und die Eltern und das dritte Ziel interessiert die Eltern und Kinder. In der konkreten Umsetzung zeigt sich, dass das Projekt TGS25 aber eine Mogelpackung und damit ein fauler Kompromiss ist, denn die einzig handfesten Ziele, die erreicht werden, sind die Ökonomischen. Von Beginn an sind die Einsparungen klar definiert und werden konsequent verfolgt. Die Vereinbarkeit wird ebenfalls teilweise erreicht.
Das Ziel der Chancengerechtigkeit stellt sich jedoch von vornherein als reines Lippenbekenntnis heraus und dient lediglich dazu, der Bevölkerung das Abbau-Programm schmackhaft zu machen. Das zeigt sich darin, dass dieses «Ziel» auf allen Ebenen konzeptuell vernachlässigt wird, dass die Sparmassnahmen das «Ziel» direkt torpedieren und dass die Alarmsignale der Praxis nicht ernstgenommen werden. Diese strukturellen Probleme werden auf die Schulkreisebene abdelegiert.
Die Mogelpackung setzt sich fort in den Pilot-Projekten. Sie wurden bewusst besser finanziert und/oder in neuen Räumlichkeiten aufgezogen als es die zukünftigen Tagesschulen wären. Dennoch zeigt die stadteigene Evaluation schon in den Pilot-Projekten die Gefahren für die Betreuungsbedingungen und –qualität.
Wie wirkt sich das Projekt TGS25 konkret auf die Betreuung aus?
Was für die Betreuungsbedingungen und –qualität wirklich auf dem Spiel steht, zeigt sich in den bisherigen Alarmsignalen von Betreuenden an der Praxis und in der stadteigenen Evaluation des Pilots.
In Tagesschulen erhöht sich die Zahl der zu betreuenden Kinder über den Mittag und zukünftig nach dem Unterricht bis 16 Uhr massiv. Das Projekt TGS25 kommt dieser Erhöhung nicht mit entsprechend mehr Finanzen, Personal und Räumlichkeiten entgegen. Das führt zu:
- teilweise enorm engen Raumverhältnissen
- Verschlechterung des Betreuungsschlüssels
- weniger Zeit für die Betreuung der Kinder
- «industrieller» Massenabfertigung beim Mittagessen
- Wegfall von Bezugspersonen für Kinder
- Stress für die Kinder und die Betreuenden
- enorme Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für Fachpersonen Betreuung und Betreuungsassistenzen durch verzettelte Kleinstpensen über Mittag
- Umlagerung der Berufsgruppen. Verantwortung wird von Hortleitung auf Fachpersonen Betreuung und Betreuungsassistenz verlagert, ohne gleichzeitig bessere Entlöhnung und Qualifizierungsangebote
- fehlenden Rückzugsmöglichkeiten für Kinder und fehlender Überblick über Kinder
- Kontrolle statt Betreuung und damit fachlich-pädagogische Resignation
- starke Dequalifizierung aller Betreuenden
Die Idee der Tagesschule wäre, dass Betreuung und Bildung im «Lebensraum Schule» stärker ineinandergreifen. Im Projekt TGS25 ist dies nicht der Fall, denn:
- die Leitung Betreuung ist der Leitung Bildung untergeordnet.
- die unterschiedlichen professionellen Haltungen der Bildung und der Betreuung werden nicht über ein fachübergreifendes pädagogisches Konzept vermittelt, was zu Konflikten zwischen Lehrpersonen und Betreuenden führt.
- es fehlen zusätzliche Ressourcen für Austauschgefässe zwischen Lehr- und Betreuungspersonen.
Was braucht es, für eine wirklich ganzheitliche Förderung in einer Tagesschule?
Es braucht jetzt ein Moratorium für die Umsetzung des Projekts TGS25. Die Evaluation und die Erfahrungen aus der Praxis zeigen Gefahren für die Betreuungsqualität. Den neu in die aktuelle Verordnung aufgenommenen Sicherungen für die Betreuungsqualität ist nicht zu trauen, solange sie nicht konkretisiert werden. Bevor das Projekt weitergeführt werden kann, braucht es konkrete, ernstzunehmende und vor allem verpflichtende Ausführungsbestimmungen, um diesen Gefahren zu begegnen.
Dazu gehören folgende Änderungen:
1. Ausbau statt Rückbau der Ressourcen:
Das Ziel der finanziellen Einsparungen muss aus dem Projekt TGS25 gestrichen werden. Die Einführung des Projekts bedingt mehr statt weniger Ressourcen. Die Befürworter*innen «linker» Parteien müssen über die Bücher. Solange ein Ziel der TGS25 Ressourcen-Einsparungen ist, ist es ein Abbauprogramm. Linke müssen sich für den Ausbau statt den Abbau der ausserschulischen Betreuungsqualität einsetzen. Solange die Ressourcen nicht einhergehen mit dem quantitativen Ausbau der Betreuungsangebote ist ein Qualitätsabbau die Folge. Diese Binsenwahrheit lässt sich nicht wegreden. Konkret braucht es zwingend einen:
- Personalausbau auf allen Betreuungsstufen: Sozialpädagog*innen, Fachpersonen Betreuung und Betreuungsassistent*innen
- Ausbau der räumlichen Infrastruktur.
2. Betreuung und Bildung auf Augenhöhe:
Die Idee der Tagesschule orientiert sich am «Lebensraum Schule» und damit an einer ganzheitlichen Förderung von Kindern im Lebens- und Lernraum. Eine solche ganzheitliche Förderung würde bedingen, dass die unterschiedlichen Haltungen der Professionen der Bildung und der Sozialpädagogik zueinander in Beziehung gesetzt werden und sich in einem fachübergreifenden pädagogischen Tagesschulkonzept niederschlagen würde. Eine solche fachliche Klammer fehlt im Projekt TGS25 völlig, was zeigt, dass Förder-Argumentation ein reines Lippenbekenntnis ist. Ob diese fachliche Leistung gemacht wird, wir den Schulkreisen – und damit dem Zufall – überlassen. Der Fakt, dass die Leitung Betreuung meist der Schulleitung untergeordnet ist, offenbart zudem deutlich, dass das Projekt TGS25 den Schritt zu einer ganzheitlichen Förderung nicht macht, sondern einseitig bei der Fachlogik der Bildung bleibt. Es braucht deshalb zwingend:
- ein pädagogisches Konzept, das Bildung und Betreuung fachlich in Beziehung zueinander setzt und für alle Tagesschulen/Schulkreise bindend ist.
- sowohl Fachpersonen der Betreuung und als auch der Bildung auf Leitungsebene und dies auf gleicher Augenhöhe.
- zusätzliche zeitliche Ressourcen für Austauschgefässe zwischen Lehrpersonen und Betreuenden.
- zusätzliche zeitliche Ressourcen für eine entsprechende fachübergreifende und vor allem kontinuierliche Schulentwicklung und Intervision (nicht nur für die Umstellung von Regel- zur Tagesschule) für alle Qualifikationsstufen.