Strike for Future: Was kommt dir zu kurz?

Teile hier deine Gedanken mit der KRISO und anderen Arbeiter*innen.

Der diesjährige Strike for Future nimmt das Thema der Lohnarbeitszeitverkürzung in den Fokus. Die KRISO Bern hat dies zum Anlass genommen, sich aus feministischer und sozialarbeiterischer Perspektive mit dem Fokusthema auseinander zu setzen. Die professionelle Reproduktionsarbeit, welche durch die Sozialarbeit, von Sozialpädagog*innen und in der Soziokulturellen Animation erbracht wird, steht aufgrund des kapitalistischen Systems und der herrschenden patriarchalen Strukturen unter Druck. Welche Auswirkungen dies für die Lohnarbeiter*innen in der Sozialen Arbeit hat, wird exemplarisch an drei fiktiven Personen gezeigt. Kim arbeitet in der Sozialhilfe, Enea als Sozialpädagog*in und Robin auf einer Beratungsstelle. Alle drei verfügen über einen Hochschulabschluss sowie unterschiedliche Berufs- und Lebenserfahrung. Wie wir es kennen, wird ihr Beschäftigungsgrad in Prozent von einer gewissen Anzahl an Wochenstunden angegeben. In ihren Lebensläufen soll aber für einmal deutlich gemacht werden, welchen Arbeitsumfang dieser Prozentsatz beinhaltet und welche emotionalen Belastungen damit einhergehen. Zusätzlich zur Lohnarbeit leisten alle drei Personen auch unbezahlte Haus- und Sorgearbeit und brauchen Zeit, um sich erholen zu können. Auch das wird in ihren Lebensläufen für einmal dargestellt. Neben all diesen Tätigkeiten bleibt kaum mehr Zeit für «Musse», sprich, für Hobbies, für freie Bildung oder einfach fürs Nichtstun. Mit den Lebensläufen von Kim, Enea und Robin will die KRISO Bern einerseits die Lebensrealitäten von Menschen in bezahlten Care-Jobs darstellen. Andererseits regen die Aushänge auch zum Nachdenken darüber an, was bei mensch selber zu kurz kommt und was auf den weiteren Weg mitgenommen werden möchte.

Reduktion der Lohnarbeitszeit, jetzt!

Im Rahmen des Strikes for Future fordert die KRISO gemeinsam mit dem Klimastreik, feministischen Kollektiven, Gewerkschaften und weiteren sozialen Organisationen eine radikale Reduktion der Lohnarbeitszeit. Die Verkürzung der Erwerbsarbeit mit gleichzeitiger Arbeitsrhythmusreduktion würde sich positiv auf das Klima auswirken. Die kapitalistische Überproduktion hat aber nicht nur ökologische Auswirkungen, auch aus feministischer und sozialer Sicht sind die Folgen massiv.

Produktion und Reproduktion

Die Erziehung von Kindern, das Pflegen von älteren und kranken Menschen, waschen, kochen, zuhören, Ratschläge geben, einkaufen, emotionale Unterstützung leisten, dies alles sind essentielle Tätigkeiten für das Funktionieren unserer Gesellschaft. Zurzeit besteht ein enormes Ungleichgewicht, was die Aufteilung dieser Sorge- oder Care-Arbeit angeht. Sie wird immer noch zu zwei Dritteln unbezahlt von weiblichen Personen erledigt. In der Wirtschaft dient dies der Reproduktion der Arbeitskraft und ist vom produktiven Teilbereich abgegrenzt. Unser Lohn aus der Erwerbsarbeit macht es möglich, die notwendigsten Güter wie Nahrung, Wohnen oder Bekleidung einzukaufen. Dienste, welche darüber hinausgehen, können nur erkauft werden, wenn die finanziellen Mittel entsprechend gegeben sind. Dies ist für viele lohnabhängige Personen nicht der Fall. Gleichzeitig ist das Verkaufen dieser Dienste der Reproduktion nicht lukrativ in unserem Wirtschaftssystem. Damit der produzierende Teil der Wirtschaft möglichst viele Gewinne frei machen kann, muss die Reproduktion der Arbeitskraft möglichst wenig finanzieller Aufwand aufwerfen. Können sich Personen oder Familien die reproduktiven Dienste also nicht leisten oder werden sie aufgrund fehlender Rendite gar nicht angeboten, müssen sie unentgeltlich erbracht werden.

Vergeschlechtlichung der Arbeit

Durch patriarchale Strukturen ist die Aufteilung in produktive und reproduktive Arbeit vergeschlechtlicht. Obwohl das Geschlecht keine Rolle für den Umfang der Verrichtung von Arbeit spielt, wird der produktive Bereich gesellschaftlich den männlichen Personen zugewiesen und der reproduktive Bereich weiblichen Personen. Geschlechtliche Arbeitsteilung hat viele negative Auswirkungen für FINTA*, also Frauen, inter, non-binäre, trans und agender Personen. In gewissen Wirtschaftssektoren werden sie aufgrund ihres Geschlechtsausdrucks nicht eingestellt oder werden mit hoher Wahrscheinlichkeit schlechter entlohnt. Wenn Einzelpersonen oder Familien es sich leisten können, Sorge- oder Care-Arbeit abzugeben, bleibt diese auf Grund der Vergeschlechtlichung schlussendlich doch meist an FINTA*-Personen hängen. Zusätzlich zeigen sich auch unter FINTA*-Personen weitere Differenzierungen entlang rassifizierender Diskriminierungskategorien. So werden bezahlte Care-Jobs in Form extrem prekarisierter Arbeitsplätze an oftmals migrantisierte Hausaltsarbeiter*innen und Pflegekräfte ausgelagert. 

Die hohe emotionale Belastung in Care-Jobs lassen ein Vollzeitpensum kaum zu oder dieses wird durch den unbezahlten Teil der Haus- und Sorgearbeit verunmöglicht. Diese Verkürzung der Lohnarbeitszeit geschieht allerdings auf unsere eigenen Kosten. Wird kein existenzsicherndes Einkommen erzielt, werden Abhängigkeiten geschaffen, sei es von einer Partner*innenperson, von Angehörigen oder von staatlichen Leistungen. Zudem generiert jahrzehntelanges Arbeiten in Teilzeitverhältnissen aufgrund geringer Pensionsansprüchen Altersarmut. Bei einer Veränderung der Normalarbeitszeit muss der Lohn deswegen gleichbleiben und bei Tieflöhnen sogar gesteigert werden.

Verkürzung der Lohnarbeitszeit

Wenn alle Menschen weniger Zeit in Lohnarbeit investieren müssen, kann Sorge- und Care-Arbeit flächendeckend ausgebaut und durch öffentliche und kostenlose Betreuungseinrichtungen kollektiv getragen werden. Die Arbeitszeitreduktion in Erziehungs- Gesundheits- und sozialen Berufen muss unabdingbar mit der Förderung von Ausbildungsplätzen und der Umschulung von Personen einhergehen, damit mehr Menschen in diesen Bereichen arbeiten können. Sorge- und Care-Arbeit muss aufgeteilt werden, nicht als Ganzes verkürzt und einer kapitalistischen Logik unterzogen werden. Allgemein würde eine Verkürzung der Lohnarbeitszeit die Lebensqualität steigern: trans, inter, non-binäre, agender Personen, Frauen, Pflegefachpersonen, Fachpersonen der Betreuung, Mütter, Schwestern, Serviceangestellte, Sexarbeiter*innen, Verkäufer*innen, Lehrer*innen, Sozialarbeiter*innen usw. könnten der Erwerbsarbeit nachgehen UND sich um die eigenen physischen und psychischen Bedürfnisse kümmern. Denn wer ständig von patriarchaler und sexistischer Diskriminierung betroffen ist, in einem rassistischen und kapitalistischen System, braucht auch Zeit, sich um sich selbst und seine*ihre Freund*innen zu kümmern. Zeit, um für eine lebenswerte, soziale, ökologische, queerfeministische und rassismuskritische Zukunft zu kämpfen!