Zunehmend führen Wettbewerbslogik und die Privatisierung
sozialstaatlicher Aufgaben in der Unterbringung und Betreuung
geflüchteter Menschen zu Deprofessionalisierung der Sozialen
Arbeit und zu prekären Lebensverhältnissen der Adressat*innen.
Text: Forum für kritische Soziale Arbeit (Kriso)
Im Asylwesen hat sich die Auslagerung staatlicher Aufgaben seit Längerem etabliert. Übernommen werden die Aufgaben teilweise von profitorientierten Organisationen. Ein Beispiel ist die ORS Service AG (ORS). Sie übernimmt im Auftrag von Bund, Kantonen und Gemeinden unter anderem die Betreuung und Unterbringung von Geflüchteten und ist dabei alleinige Marktführerin.
Die ORS bewegt sich in einem Rahmen, in dem bereits die gesetzlichen Vorgaben verhindern, dass ausreichend auf die Bedürfnisse geflüchteter, oft traumatisierter Menschen eingegangen werden kann. Sich in diesem Feld zusätzlich unter einem Profitzwang zu bewegen, führt zu einer Verschärfung der Problematik. Immerhin muss die ORS mit den staatlichen Geldern auch noch Gewinn erwirtschaften, was bei Non-Profit-Organisationen nicht der Fall ist.
Die ORS ist eine Aktiengesellschaft, die seit 2017 im Besitz von Equistone Europe Partner ist und stetig wächst. Seit 2012 hat die ORS in Italien, Österreich, Deutschland und Spanien Tochterfirmen gegründet. Die ORS ist also nicht nur bestrebt, ihre Aufträge gewinnbringend umzusetzen, sondern diesen Profit auch durch Wachstum zu steigern. Folglich werden Betreuungsangebote möglichst günstig offeriert, um Zuschläge für Betreuungsmandate zu erhalten. Dies gelingt unter anderem, indem im Alltagsgeschäft Kosten eingespart werden, beispielsweise beim Personal. So werden in Stellenausschreibungen für die Betreuung in Asylunterkünften Personen ohne angemessene Qualifikation gesucht. Hinzu kommt, dass diese anspruchsvollen Aufgaben mit einem knappen Personalschlüssel erfüllt werden müssen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass immer wieder Berichte über fachlich nicht legitimierbare Methoden wie Kollektivstrafen an die Öffentlichkeit gelangen. Zudem berichten Bewohner*innen über massive psychische und physische Gewalt durch die ebenfalls privat geführte und öffentlich beauftragte Sicherheitsfirma Securitas.
Wie dieses Beispiel der ORS zeigt, führt die Ökonomisierung im Asylwesen dazu, dass profitorientierte Unternehmen in der Sozialen Arbeit salonfähig geworden und auch andere Organisationen zum Sparen gezwungen sind, um überhaupt konkurrenzfähig zu bleiben. Diese Form von Sozialabbau trägt wesentlich zur Deprofessionalisierung in der Sozialen Arbeit bei – mit verheerenden Folgen für die Adressat*innen. Als Fachpersonen der Sozialen Arbeit sind wir daher dringend angehalten, ein System infrage zu stellen, das Bedürfnisse von Adressat*innen systematisch missachtet, um Kosten zu sparen.
Fussnoten
1 https://nzzas.nzz.ch/schweiz/ors-marktfuehrerin-im-
geschaeft-mit-fluechtlingen-ld.1295334?reduced=true
2 www.equistonepe.de / Beteiligungen / ORS.
3 www.ors.ch.
4 Zum Beispiel: https://www.bazonline.ch/basel/region/wie-asylsuchende-schikaniert-werden/story/
31671756.
5 Siehe https://www.srf.ch/news/schweiz/gewalt-problem-
pruegel-klima-in-basler-asylzentrum.
Zur Autor*innenschaft:
Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mehrerer Personen der Kriso – Forum für kritische Soziale Arbeit – Zürich, Bern und Basel entstanden. In der Kriso engagieren sich Sozialarbeitende für eine kritische Soziale Arbeit und für eine sozial gerechtere Gesellschaft. Sich kritisch zu Prozessen innerhalb der Sozialen Arbeit zu äussern, bedeutet immer ein Risiko für die Personen, die sich exponieren. Die Kriso veröffentlicht ihre Artikel deshalb als Kollektiv und nicht im Namen einzelner Personen.
Weitere Infos und Kontakt: www.kriso.ch