Bettelverbot

Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte gab einer rumänischen Romni recht, die gegen die Verurteilung der Genfer Justiz prozessierte. Sie wurde für Betteln in der Öffentlichkeit gebüsst und musste fünf Tage ins Gefängnis, weil sie die Busse nicht bezahlen konnte. Renato Beck schreibt in der WOZ von einer „Lektion in Menschenwürde“: Die Frau hatte das Recht, auf ihre Situation aufmerksam zu machen und um Unterstützung zu bitten. Die Schweiz als Gegenpartei hatte vergeblich auf die Interessen der Geschäfte, Tourismus und erregten Passant*innen verwiesen. Beschämende Argumente, denen der EGMR jede Legitimität abspricht (siehe WOZ Nr. 3, Seite 2). Aus einer Grundsatzdiskussion ist folgender kleiner Text entstanden, den wir im Rahmen der Debatte im Grossen Rat publiziert haben:

Betteln ist nicht strafbar. Wer bettelt begeht damit keine Straftat, überschreitet kein Verbot. Das ist gesetzlich so geregelt und kann de jure seit dem 1. Juli in Basel nicht ohne Weiteres verboten werden. Den Bettlerinnen und Bettlern, die seit dem 1. Juli auf den Trottoirs von Basel sitzen, wird unterstellt, sie würden als Bande betteln. Das sei de jure verboten und müsse geahndet werden. Eine juristische Definition, was genau eine Bande ausmacht, gibt es nicht. Dennoch ist eine Bande für viele eine klar erkennbare Sache. So klar, wie eine rote Ampel rot ist. Der Austausch an Erfahrungen und Meinungen in der Kriso-Sitzung zeigt, dass diese Klarheit schnell schwindet und einer ganz anderen Gewissheit weicht. Nämlich der, dass Betteln kein Problem ist, das juristisch gelöst oder delegiert werden kann. Bettelnde Menschen rühren an Moral- und Wertvorstellung, an Weltanschauung, an der Toleranz jedes einzelnen von uns, am Gewissen, an der Religiosität, am Mitgefühl jeder einzelnen von uns und wir gehen alle anders um mit der eigenen Hilflosigkeit, der Ohnmacht, der Scham, der Wut und all den Gefühlen, die der Anblick bettelnder Menschen in uns hervorruft. 

Wir könnten als Gesellschaft einen Konsens finden, wir könnten als Gemeinschaft Hilfe anbieten, wir könnten Regeln und Massnahmen aufstellen, wir könnten selber etwas unternehmen. Was immer wir aber tun oder nicht tun, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Anblick bettelnder Menschen auch eine sehr persönliche Sicht auf das Zusammenwirken komplexer und weitreichender Probleme ist, ein Dilemma gewirkt aus Armut, Unwissen, Chancen, Angst, Vorurteilen und immer auch dem Anteil eigener Geschichte. Ein Zweifränkler wird es nicht lösen, eine harsche Bemerkung auch nicht. Darüber nachdenken hilft vielleicht, eine Sicht zu gewinnen, die es aushält, dass keine Lösung ein Dilemma auflösen wird. Vielleicht hilft es.