Von der Defensive in die Offensive: Damit es nicht so bleibt, wie es war

In einer ökonomisierten Sozialen Arbeit mehr Ressourcen für einen Bedarf zu kriegen, ist normalerweise etwas furchtbar Deprimierendes und Technisches. Stimmen die objektiven Kennzahlen? Werden die geforderten Mittel innovativ eingesetzt? Kann durch Kooperationen, Optimierung oder Vernetzung Geld gespart werden? Wie gut ist die Beziehung zu den Verantwortlichen des Kontraktmanagements? Sind die von den Auftraggebenden gewünschten Argumente im Projektbeschrieb? Vielleicht noch etwas mit Prävention?

Alle, die sich schon einmal mit der Steuerung der Sozialen Arbeit auseinandergesetzt haben, werden sich vor ein paar Tagen die Augen gerieben haben. Jaqueline Fehr, die SP-Regierungsrätin im Kanton Zürich hat verkündet, dass sozialpädagogische oder krisenbewältigende Organisationen zurzeit nach selbstdefiniertem Bedarf Personal einstellen oder Räume beschaffen können. Die anfallenden Kosten sollen gänzlich übernommen werden.

Es ist, als ob plötzlich sämtliche neoliberalen Sakrilege gebrochen werden. Wo normalerweise Geringschätzung oder finanzpolitische Argumente dominieren, ist nun in der Krise vieles möglich. Die Ausnahmesituation wirft wie ein Vergrösserungsglas ein Schlaglicht auf die gesellschaftlich reproduktive Arbeit, zu der Soziale Arbeit gehört. Plötzlich wird sichtbar, welchen gesellschaftlichen Wert Pflege, Betreuung, Beratung und soziale Hilfearbeit haben. Ohne sie stehen die Kapitalkreisläufe still, werden keine Arbeiter_innen mehr «produziert». Reproduktionsarbeit wird plötzlich als systemrelevant sichtbar.

Die Anerkennung, die Soziale Arbeit und andere Fürsorgeberufe nun erhalten, ist symbolisch wichtig und überfällig. Doch sie ist nicht genug. Denn nur weil in einem Krisenmoment neoliberale Sakrilege gebrochen werden, heisst nicht, dass nachhaltige Verbesserungen bezüglich Arbeitsbedingungen und Anerkennung oder gar ein gesellschaftlicher Wandel im Umgang mit Care-Arbeit durchgesetzt werden können. Vielmehr nutzen auch neoliberale und reaktionäre Kräfte die Krise, um sich in Stellung zu bringen und perspektivisch neue Wege der Ausbeutung zu installieren. Es ist wahrscheinlich, dass die zusätzlichen Ressourcen lediglich temporär sind und in der kommenden wirtschaftlichen und fiskalen Krise genauso schnell rückgängig gemacht werden, wenn der akute Bedarf zurück geht, der finanzielle Druck steigt und das gesellschaftliche Schlaglicht die reproduktive Arbeit wieder in die Unsichtbarkeit zurückgleiten lässt. Nichts wäre so schlimm, wie wenn alles so bliebe, wie es war.

Anerkennung ist noch keine Solidarität. Die Aufmerksamkeit führt nicht einfach zu besseren Arbeitsbedingungen, angemessener Entlohnung oder einem gesellschaftlichen Wandel. Die Kriso kritisiert das auf Anerkennung ausgerichtete berufspolitische Paradigma schon lange. Die aktuelle Situation zeigt wieso: Das Anerkennungs-Paradigma überlässt die Bestimmungsmacht nach wie vor denjenigen Kräften, die Soziale Arbeit in den letzten zwanzig Jahren ressourcenmässig ausgedünnt und ideologisch neuausgerichtet haben. Technische Diskussionen wirken entpolitisierend und verhindern, dass Soziale Arbeit aus der politischen Defensive ausbrechen und sich offensiv positionieren kann.
Es ist es auch keine Überraschung, wie sich sozialdemokratische Kräfte oder Gewerkschaftsspitzen zurzeit positionieren: Es ist an Dürftigkeit nicht zu überbieten, wie bescheiden die Forderungen und wie stark der Burgfrieden-Gedanke angesichts der medizinischen Krise ist. Es werden da und dort Ressourcen verteilt und Absicherung für alle (besonders «die Wirtschaft») gefordert – das ist der Dimension der aktuellen und kommenden sozialen und wirtschaftlichen Krise nicht annähernd angemessen!

Dauerhafte Verbesserungen zu erstreiten und gesellschaftliche Perspektiven zu entwerfen, ist und wird politische «Handarbeit» der Basis bleiben. Die nächsten Wochen und Monate werden darüber entscheiden, ob die Angestellten in der Sozialen Arbeit und anderen Hilfeberufen weiterhin defensiv agieren oder es schaffen, sich angesichts der gesellschaftlichen Krise offensiv zu positionieren. Solidarisch zu sein, bedeutet in diesen Momenten für sich und andere einzustehen, die Kämpfe zu antizipieren, sich schon jetzt zu organisieren. Denn die Kämpfe, um die dem gesellschaftlichen Wert angemessene Bezahlung und Arbeitsbedingungen werden kommen. Wir müssen dann bereit sein, wenn die aktuelle Belastungsspitze zurückgeht, die Kosten abgewälzt werden, die temporären Errungenschaften abgebaut werden und die neoliberale Realität restauriert werden soll. Die Zeit bis dahin müssen wir nutzen, solidarisch-kämpferische Strukturen handlungsfähig zu machen und uns offensiv zu positionieren.

Kriso Zürich, 2.4.20


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