Fachliche und kritische Soziale Arbeit statt Privatisierung bei der Arbeit mit Geflüchteten!
Sehr geehrter Herr Hahn
Sie sprechen die Kriso – Forum für kritische Soziale Arbeit – mit der Zusendung Ihres Aus- und Weiterbildungsprogrammes direkt an. Nachfolgend legen wir Ihnen dar, warum wir die momentanen Entwicklungen im Bereich der Arbeit mit Geflüchteten, die Sie mit der ORS forcieren, sehr kritisch sehen. Aufgrund dessen verstehen wir uns nicht als Teil Ihres Netzwerks, denn Sie praktizieren keine Soziale Arbeit!
Die Kritik bezieht sich im Wesentlichen auf folgende Punkte:
- Deprofessionalisierung der Sozialen Arbeit durch Privatisierung
- Machtakkumulation und fehlende Transparenz
- Menschenunwürdige Zustände in der Praxis
Deprofessionalisierung der Sozialen Arbeit durch Privatisierung: Obwohl Sie sich als Organisation der Sozialen Arbeit verstehen und schreiben, dass Sie auf berufserfahrenes Personal setzen, werden in Ihren Stellenausschreibungen explizit keine Fachpersonen mit einem tertiärem Abschluss der Sozialen Arbeit gesucht. Diese Art der Personalakquise lässt darauf schliessen, dass Ihre Organisation keine qualifizierten Sozialarbeiter*innen sucht, um Lohnkosten einzusparen. Die Angestellten werden von der ORS intern geschult. An fachlicher Schulung ist per se nichts einzuwenden, doch es stellt sich die Frage, ob diese Art der Bildung nicht genau die institutionellen blinden Flecken reproduziert, wenn sie intern und /oder von ausgewählten Bildungspartner*innen durchgeführt wird. Befähigt sie schlussendlich dazu, der höchst komplexen Aufgabe der fachlichen Arbeit mit Geflüchteten gerecht zu werden? Gibt es für die Mitarbeitenden die Möglichkeit, sich zu weigern und externe Formen der Weiterbildung zu nutzen?
Der Staat hat den Auftrag, den Asylbereich zu organisieren, Menschen zu schützen und sie beim Start in ihr Leben in der Schweiz zu unterstützen. Er hat die Aufträge nach bestem Wissen und Gewissen an jene Organisationen zu vergeben, die ein professionelles Konzept für die Betreuung ihrer Adressat*innen darlegen können. Als privates Unternehmen unterliegt die ORS grundlegend den Erfordernissen kapitalistischer Akkumulation, also der Gewinnorientierung. Mit dieser Logik werden die Menschen und ihre Bedürfnisse zur Ware. Bei der ORS sind tiefe Margen Teil des Konzepts[1]. Ein entscheidender Faktor ist die Menge. So wird die Not der Menschen zur Kapitalanlage[2]. Durch tiefe Lohnkosten verschafft sich die ORS einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz und trägt mit ihrem neoliberalen Selbstverständnis zu einem zunehmenden Wettbewerb im Sozialbereich bei. Die ORS profitiert aufgrund tiefer Margen sogar explizit davon, dass die Aufträge nach dem Wettbewerbsprinzip verteilt werden. Die Konsequenz ist staatlich finanziertes Lohndumping. Die Geschäftsberichte sind von ökonomischen Interessen durchdrungen, indem beispielsweise von «Managementkriterien» gesprochen wird, welche bei der Konzeptionierung der Betreuungsaufgaben ausschlaggebend sind. Es drängt sich die Frage auf, wie stark die alltäglichen Betreuungsprozesse durch betriebswirtschaftliche Überlegungen geprägt sind und wie sich der Spardruck im Heimalltag, der Schule, etc. auswirkt. Der so erlangte Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz geht einerseits zu Lasten der Qualifizierung, der Ausbildung und des Lohns der Mitarbeitenden. Andererseits sind die Leidtragenden vor allem die Geflüchteten selbst (siehe Beispiele unten).
NGO’s sowie weitere Organisations- und Finanzierungsformen im Sozialbereich geraten durch Ihre Organisationslogik finanziell unter Druck. Die Organisationsweise der ORS zwingt andere Organisationen zum zwanghaften Sparen auf Kosten der Fachlichkeit und der betroffenen Personen. Die ORS weist sich selbst als politisch und religiös neutral aus, dies ist sie jedoch mitnichten. Denn mit ihrer Marktlogik und ihren Dumpingpreisen trägt die ORS wesentlich zu Sozialabbau und zu Deprofessionalisierung in der Sozialen Arbeit bei.
Machtakkumulation und fehlende Transparenz: Die ORS ist seit 17 Jahren in der Betreuung tätig, hat aber erst 2018 ihren ersten Geschäftsbericht veröffentlicht. Jahrelang war unklar, wie viel die ORS tatsächlich verdient. Viele Zahlen wurden erst aufgrund von Medienrecherchen bekannt. Unverständlich bei einer Organisation, welche durch Steuergelder finanziert wird. Bei der Lektüre des Berichts fallen die vielen wunderschönen Bilder auf. Mit Zahlen und Konzeptbeschreibungen glänzt der Bericht jedoch nicht. So ist nicht lesbar, für welche Bereiche Geld ausgegeben wird. Der Vorwurf lässt sich also nicht entkräften, dass die ORS ihr Geld hauptsächlich für die Sicherheit in den Zentren, also Sicherheitspersonal ausgibt, anstatt für ausgebildetes Fachpersonal in der Betreuung.
Die ORS übernimmt Aufgaben von der Einreise über Rückkehrhilfe, über Qualifizierung bis hin zur Integration. Die Versorgungskette ist also total. Diese fehlende Aufgaben- und Ressortverteilung ist heikel und führt zu Machtakkumulation. Totalitäre Tendenzen in Organisationen sind mit Vehemenz abzulehnen.
Menschenunwürdige Zustände in der Praxis: «Die ORS steht seit 17 Jahre für die professionelle und menschenwürdige Betreuung von Asylsuchenden und Flüchtlingen», lässt sich die ehemalige Bundesrätin Ruth Metzler im Geschäftsbericht 2018 zitieren. Die alte Leier: Man nehme eine profilierte politische Persönlichkeit und schneidere ihr eine Marketing-Phrase zurecht. Die interne Selbstbeweihräucherung der ORS steht im krassen Widerspruch zur vielseitig geäusserten Kritik in den Medien. Nachfolgend einige der Vorwürfe an die ORS aus den Regionen Nordwestschweiz und Zürich mit den zugehörigen Medienberichten: «Kollektivstrafen und mangelnde Babynahrung»[3], «Schikane in Aesch»[4], «unwürdige Zustände in Lampenberg»[5], «Verweigerung des Zugangs für Rechtsberater*innen und monatelang kein warmes Duschwasser in Zürich»[6]. Jüngst kritisierte das Bündnis «Dreirosen gegen Grenzen Basel» die Zustände im Bundesasylzentrum in Basel (Freiburgerstrasse) [7]. Es wird von mangelnder Ernährung gesprochen, überfüllten Zimmern trotz tiefer Asylgesuchszahlen, unbegründetem Durchsuchen von Zimmern und bei der Eingangskontrolle (auch bei Kindern). Die Liste liesse sich noch weiterführen. Solche Zustände haben nichts mit menschenwürdiger und professioneller Betreuung zu tun.
Was wir fordern: Wir fordern eine professionelle Betreuung, die ihren Namen verdient. Soziale Arbeit ist hinsichtlich ihrer Gegenstandsbestimmung und ihrer Methoden geeignet, den schwierigen Situationen und sozialen Problemen Geflüchteter in den Aufnahmelagern gerecht zu werden. Soziale Arbeit muss hier die Verantwortung übernehmen und mit Fachpersonen vor Ort sein. Die ORS, welche für den Profit bewusst darauf verzichtet, ausgebildete Fachleute anzustellen, ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Wir fordern ausgebildete Fachleute bei der Arbeit mit Geflüchteten und keine Personalpolitik, die von Profitdenken getrieben ist.
Wir fordern ein professionelles, kritisches, sozialarbeiterisches Handeln. Wir fordern eine Soziale Arbeit, die sich für die Rechte aller Menschen einsetzt. Für emanzipative Strukturen und Teilhabe für alle! Gegen Diskriminierung, gegen unwürdige Behandlung und für eine Humanität als Grundhaltung.
Freundliche Grüsse
Kriso Basel, Forum für kritische Soziale Arbeit
[1] Vgl.: Die Wochenzeitung: https://www.woz.ch/-780c
[2] Vgl: ebendiese
[3] Vgl. Basler Zeitung: https://www.bazonline.ch/basel/region/wie-asylsuchende-schikaniert-werden/story/31671756
[4] Vgl. Blick: https://www.blick.ch/news/schweiz/basel/schwere-vorwuerfe-gegen-asylfirma-ors-kollektivstrafen-und-zu-wenig-babymilch-id6224729.html
[5] Vgl. SRF: https://www.srf.ch/sendungen/regionaljournal-basel-baselland/schwere-kritik-an-pratteler-betreuungsfirma
[6] Vgl. Die Wochenzeitung https://www.woz.ch/-780c
[7] Vgl. Basler Zeitung: https://www.bazonline.ch/basel/stadt/wenn-ein-kind-hunger-hat-muss-es-halt-warten/story/24529962