Belastungsgrenze im Heim- und Kriseninterventionsbereich
Im Bereich des Kindesschutz und des Schutz vor häuslicher Gewalt kommen derzeitig aufgrund der aktuellen Massnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus grosse Herausforderungen auf die Soziale Arbeit zu. Die Kriso fordert seit langem die Aufwertung von Care-Arbeit, besonders auch die Arbeit zum Schutz des Kindswohls und das Recht auf körperliche und psychische Integrität besonders verletzlicher Personengruppen. In der jetzigen Situation zeigt sich der eigentliche Wert der reproduktiven Arbeit. Es wird notwendiger denn je, jetzt dauerhafte Verbesserungen zu erkämpfen.
Es zeichnet sich ab, dass es in den kommenden Wochen zu wenig Plätze für schutzsuchende Kinder, Jugendliche, Frauen und Männer, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, geben wird. Wie die Zahlen aus China und Italien zeigen, nahmen die Fälle von häuslicher Gewalt während der Corona-Krise erheblich zu. Bereits jetzt sind die Kriseninstitutionen in der Region Zürich gemäss unseren Informationen belegt und es müssen wohl zukünftig Schutzsuchende abgewiesen werden. Die Beratung und Triage von anfragenden Personen ist massiv erschwert, da viele Beratungsstellen nur telefonische Beratung anbieten und viele Stellen nur reduzierte Angebote haben. Da diese direkten Kontakte momentan nicht möglich sind, muss davon ausgegangen werden, dass viele Kindswohlgefährdungen im Verborgenen bleiben und viele Schutzsuchende nicht die benötigte Unterstützung bekommen.
Zusätzlich wird die Platzsituation noch kritischer werden, da viele längerfristige Platzierungsinstitutionen (wie Jugendheime, Wohngruppen, aber auch Familienplatzierungsorganisationen) aktuell Aufnahmestopps haben und somit die Kinder und Jugendlichen länger in den Kriseninstitutionen bleiben müssen. Dort zeigt sich, dass in ökonomisierten und effizient gesparten Betrieben der Sozialen Arbeit, ähnlich der Situation in den Spitälern, keine Reserven für adäquate Betreuung in Krisenmomenten übrig sind. Wir fordern, dass sofort zusätzliche niederschwellige Schutz- und Entlastungsorte für von Gewalt betroffene Familien eingerichtet werden. Es muss sichergestellt sein, dass von häuslicher Gewalt betroffene Kinder und Erwachsene unbürokratisch und unverzüglich unterstützt werden können. Frauen*häuser und Kriseninterventions-Institutionen für Kinder und Jugendliche sollen sofort die dafür zusätzlich benötigten Räumlichkeiten und personelle Ressourcen zugesprochen bekommen.
Neben der erhöhten Auslastung kommen weitere Aufgaben auf das Personal zu: Für viele Menschen, die psychisch nicht stabil sind bringt die aktuelle Situation grossen zusätzlichen Stress, welcher auch im Zusammenhang mit dem Wegfall von sonst vorhandenen Regulationsmöglichkeiten (wie Sport, Ausgehen, Freunde treffen, usw.) zu Eskalationen oder psychischen Krankheiten führen kann. Da die Kinder- und Jugendlichen nicht mehr zur Schule/zur Ausbildung gehen können benötigt diese Betreuung grosse zusätzliche Ressourcen des Personals. Dazu kommen viele hygienische Zusatzmassnahmen. Teilweise lassen sich Hygienevorschriften nur sehr schwierig oder gar nicht umsetzen. So muss beispielsweise die Anzahl der Plätze reduziert werden, um ein Isolationszimmer mit eigenem Bad anbieten zu können. Das gemeinsame Essen in einer grösseren Gruppe muss umorganisiert werden, was räumlich teilweise fast unmöglich ist. Wenn diese Massnahmen nicht umgesetzt werden können, sind verletzliche Personen von einer doppelten Gefährdung ausgesetzt und Angestellte arbeiten unter Bedingungen, die sie krank machen, was wiederum die Personalnot verstärkt.
- Wir fordern, dass die Kriseninterventions-Institutionen sofort mit zusätzlichen personellen Ressourcen ausgestattet werden, der Personalschlüssel muss erhöht werden. Weiter braucht es Entlastung in der alltäglichen Arbeit, zum Beispiel durch zusätzliche Zivildienstleistende, aber auch zusätzliches Personal für das Kochen, die Reinigung und in der Administration.
- Es braucht unverzüglich zusätzliche Räume und Kapazitäten, sowie die Möglichkeiten für Entlastung und Aktivitäten für Kinder und Jugendliche, die in Heimen wohnen oder die zuhause grossen Belastungen ausgesetzt sind. Es könnten beispielsweise Räume in Gemeinschaftszentren oder ähnlichen Einrichtungen für die Benutzung durch Wohngruppen geöffnet werden.
- Psychotherapien sollen wenn immer möglich weiter geführt werden. Möglicherweise ist in Einzelfällen auch die Weiterführung der Face-to-Face-Therapie notwendig. Die Krise ist nicht nur medizinisch, sondern akzentuiert und verstärkt die schon bestehenden psychischen Probleme.
- Wir fordern, dass die niederschwelligen Zugänge zu Angeboten der Sozialen Arbeit auch in der aktuellen Situation sichergestellt sind. Beratungsstellen, offene Jugendarbeit, Schulsozialarbeitende sollen die benötigten Mittel bekommen, um dies zu gewährleisten. Wenn dafür Face-to-Face Kontakte notwendig sind, sollen diese nicht verboten werden, sondern die räumlichen Ressourcen und Hygienemassnahmen zur Verfügung gestellt werden (z.B. grössere Räume mieten, zusätzliche Putzmassnahmen angemessen bezahlen).
- Die zusätzlichen Stellen und Kapazitäten sollen angemessen entlohnt werden und auch über die Corona-Pandemie hinaus bestehen.
- Wir fordern einen politischen und gesellschaftlichen Wandel, der Care-Arbeit wertschätzt, angemessen entlohnt und Perspektiven zu deren Gestaltung jenseits von Verwertungs- und Ökonomisierungstendenzen erarbeitet.
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