Wortklauberei oder berechtigte Auseinandersetzung mit der Nutzung des öffentlichen Raums?

Das St.Galler Papier «Grundhaltung zur Nutzung des öffentlichen Raums in der Stadt St.Gallen» ist es wert, sehr ernst genommen zu werden.

Die beiden Begriffe «Gesellschaft und Sicherheit» bilden eine Rubrik auf der Homepage der Stadt St.Gallen. Aufschlussreicher, als sich über die Intention dieses Begriffspaares in Phantasien zu ergehen, ist eine begriffliche Auseinandersetzung mit dem Papier «Grundhaltung zur Nutzung des öffentlichen Raums in der Stadt St.Gallen, welches eben dort in der Unterkategorie «Sicherheit und Polizei»(!) zu finden ist und von den Leitern zweier grosser St.Galler Sozialarbeitsakteure, sowie dem Kommandanten der Stadtpolizei St.Gallen formuliert und herausgegeben wurde.
Ganz im Sinne eines „Nomen est omen“ wird ein genauer Blick auf das Papier nötig.
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um den Spielplatz im Linsebühl, stellt sich die KRISO jene Fragen, die aus unserer Sicht zentral für das grundsätzliche Selbstverständnis der Stadt St.Gallen und ihren Bürger*innen in Bezug auf die Nutzung des öffentlichen Raums sind:

*Ist es ein Versehen, dass «Menschen» an einer einzigen Stelle im Papier und in der Gestalt von «Randgruppen» – als äusserst diffuser und sehr abwertender Begriff – vorkommen und diese zudem unter Generalverdacht gestellt werden, «nötigenfalls auch betreut werden» zu müssen? Und wird mittels Platzierung dieser Aussage unmittelbar nach einem Satz zur «Angst vor Belästigung, Schmutz, latenter oder offener Bedrohung oder wegen rechtswidrigem Verhalten» allenfalls (un-)bewusst ein Kausalzusammenhang zu den als randständig bezeichneten Bürger*innen hergestellt? Und am Rande gefragt: wer hat eigentlich Angst vor Schmutz?

*Wie kommen die Unterzeichner dazu, von einem «politischen Konsens» auszugehen? Würde die Herstellung von Einigkeit und Übereinstimmung nicht eine breitere, offene und ggf. kontroverse Diskussion aller relevanten Akteur*innen, inklusive der Nutzer*innen selbst, voraussetzen? Hat eine solche stattgefunden und mit welchen Ansprüchen wurde dieser «Konsens» hergestellt?

*«Gehört» der öffentliche Raum jemandem bzw. «allen»? Was muss dafür geleistet werden? Wer bestimmt, welches Verhalten zur Enteignung führt? Und welche Folgen hat eine mögliche Enteignung für die «Noch-Nutzer*innen» und für die Enteigneten? Respektive welche Folgen hat eine willkürlich anmutende Exklusion (un-)bestimmter Akteur*innen auf den öffentlichen Raum und das soziale Zusammenleben selbst? Gibt es ein Grundrecht auf Besitz an öffentlichen Gütern, wie z.B. Raum? Wenn ja, müsste die Debatte um einen solchen dann nicht eine völlig andere Richtung einschlagen?

*Ist die im Papier vorgeführte exklusive Definition und Behandlung des öffentlichen Raums durch die drei Unterzeichner zu dulden? Oder handelt es sich hierbei um eine «übermässige» und «exklusive» Beanspruchung des öffentlichen Raums und des (Nicht-)Diskurses?

*Ist das Kriterium «Sicherheit» eine hinreichende Bedingung für Lebensqualität oder vernachlässigt eine Verengung der Diskussion über den öffentlichen Raum auf den Aspekt der «Sicherheit» nicht eher die Komplexität dessen, was Lebensqualität ausmacht? Und – wie lässt sich «Sicherheit» herstellen? Wessen Lebensqualität ist darauf angewiesen, dass Menschen, die mit dem Etikett «Randgruppe» versehen werden, nur bestimmte Orte nutzen können?

*Da es «keine allgemeingültigen Regeln für die Durchsetzung dieser Grundhaltung» gibt, muss damit gerechnet werden, dass die gebotene «Verhältnismässigkeit» von den drei Unterzeichnern definiert und exekutiert wird. Wer sind letztlich die «verantwortlichen Stellen», die «situativ» entscheiden und wer hat diese Stellen in welcher Form und für welche Zwecke mandatiert? Die Verantwortlichkeit scheint offenbar den drei Unterzeichnern zu obliegen. Offen bleibt, wer dabei mit welchem Mandat, mit welchen Zielen und mit welchen Mitteln über den öffentlichen Raum gebietet? Da ausser den Unterzeichnern keine konkreten Akteur*innen genannt werden, muss befürchtet werden, dass sie es ernst meinen, wenn sie das Papier mit den Worten schliessen: «Durch stetigen Austausch, sowohl auf strategischer als auch auf operativer Ebene, ist die Kommunikation zwischen den Verantwortlichen der Stadtpolizei, der Stiftung Suchthilfe und des Jugendsekretariats gesichert».

Fragen über Fragen…den vorliegenden Versuch jedenfalls, eine «Grundhaltung» zur Nutzung des öffentlichen Raums «im Interesse der gesamten Bevölkerung» zu definieren, beurteilen wir als gescheitert. Vielleicht mag es daran liegen, dass die Bevölkerung dabei offenkundig übergangen wurde.

Lasst uns also endlich anfangen, uns in den öffentlichen Diskurs rund um den öffentlichen Raum einzumischen und einen Dialog über grundlegende Fragen des Zusammenlebens zu führen! Und zwar mit den Menschen, die an den jeweiligen Orten anzutreffen sind!!!

KRISO St.Gallen

Grundhaltung zur Nutzung des öffentlichen Raumes 2017

www.kriso.ch