Erkärung – Widersprüche aus Sicht der Sozialen Arbeit im Bundeszentrum Juch, Zürich

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Am Samstag, dem 24. Mai 2014, sind im Bezug auf die sozialarbeiterische Praxis im Asylwesen Widersprüche zutage getreten, die wir als Forum für kritische Soziale Arbeit nicht unbeantwortet lassen wollen und können.
Ein Solidaritäts-Konzert von Asylrechts-AktivistInnen–darunter auch Kriso-Mitglieder – für die im Bundeszentrum Juch untergebrachten MigrantInnen wurde mit einem grösseren Polizeieinsatz gestoppt. Die rund 50 AktivistInnenmussten sich Personenkontrollen unterziehen und wurden polizeilich weggewiesen.[1] Diese repressive Praxis der Stadtpolizei Zürich ist hinlänglich bekannt und wirft ein entsprechendes Licht auf die Ära von sozialdemokratischen, grünen oder alternativen PolizeivorsteherInnen. Dazu wollen wir uns nicht weiter äussern. Vielmehr halten wir es für nötig, klar Stellung gegen die Praxis der involvierten verantwortlichen Organisationen AOZ (Asylorganisation Zürich) und SIP (Sicherheit, Intervention, Prävention) zu nehmen, da sich diese als Teil der Sozialen Arbeit verstehen.

SIP: Ordnung statt Solidarität

Konkret deutet das Verhalten der am Samstag involvierten SIP-Angestellten auf eine fehlende Auseinandersetzung mit berufsethischen oder fachlichen Prinzipien. Ausserdem verdeutlicht es die Einbettung einer solchen Organisation in der repressiven, polizeilichen Funktion. Auf die solidarischen Aktionen der Asylrechts-AktivistInnen, welche aus Musik, Essens- und Getränkeverteilung von ausserhalb des Zauns an die Asylsuchenden und Vernetzungsgesprächen bestanden, reagierten die Angestellten der SIP von Beginn an ablehnend. Im ersten Schritt versuchten sie, sie zu verhindern indem sie den AktivistInnen in paternalistischer Manier vorwarfen, die Asylsuchenden hätten Angst vor ihnen: Eine offentlichtliche Lüge. Im zweiten Schritt mussten sie die Aktivitäten gewähren lassen. Ersichtlichbegannen sie sich anzubiedern, sie lächelten freundlich und tanzten mit den AktivistInnen gar zur Musik mit. Im dritten Schritt liessen sie dann dennoch die Stadtpolizei wegen Störung der Ordnung rufen – nota bene eine Störung, bei der sie selber zuvor lächelnd mittanzten.

In ihrer Rolle als SIP-Angestellte verhinderten sie alles, was sonst als Ziele der Sozialen Arbeit hochgehalten wird: Interkulturelle Verständigung, Solidarität, gegenseitige Unterstützung, Antirassismus, Vernetzung usw. Das einzige, was hingegen aus einer sozialarbeiterischen Ausbildung übrig zu bleiben schien, waren manipulative Sozial-Techniken. Es ist dies der konkrete Ausdruck ihrer Selbstbeschreibung: „Die Durchsetzung der Ordnung erfolgt auf der kommunikativen und psychologischen Ebene, durch Vertrauensbildung und Vermittlung. In kritischen Situationen wird die Stadtpolizei beigezogen.“[2]Es lässt sich nur erahnen, wie weit eine solche Organisation in der Durchsetzung von Ordnung geht und wie weit Solidarität für dieses Ziel unterbunden wird.Die repressive und manipulative Praxis der SIP lässt sich in keinster Weise mit einem kritischen sozialarbeiterischen Selbstverständnis vereinbaren.

AOZ: Zwischen Vorgaben und Spielräumen

Die Betreiberin und damit verantwortliche Organisation für das Bundeszentrums Juch ist die AOZ. Wir stellen fest, dass die Bedingungen in ebendiesem äusserst prekär sind. Das Bundeszentrum ist seit kurzem voll ausgelastet. 300 Personen teilen sich die Zimmer in den ehemaligen Saisonnier-Baracken. Ein hoher Zaun und ein An- und Abmeldeschalter der SIP verdeutlichen die Isolation der Asylsuchenden. Die AOZ bedient sich zudem fragwürdigen Regeln und Ansätzen, wie zum Beispiel ein obligatorisches An- und Abmelden beim Verlassen des Zentrums, ein Ausgehverbot über Nacht und unzureichende Kommunikations- und Mobilitätsmittel. Auch wenn sich die AOZ bemüht, eine bezahlte Beschäftigung für die isolierten Asylsuchenden zu ermöglichen und interne Schulen für unter 16-jährige anzubieten, bleibt es eine prekäre Situation für die Asylsuchenden. Die Bemühungen sind nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Die enorme Anzahl der isolierten Bewohner_innen kann scheinbar nur repressiv „betreut“ werden. Hinzu kommen ständige Kontrollen durch die Polizei ausserhalb des Zentrums.

Aus sozialarbeiterischer Sicht gilt es die Praktiken im Bundeszentrum zu hinterfragen. Die Betreuer_innen haben alle möglichen beruflichen Hintergründe, jedoch trifft man so gut wie keine im Sozialbereich ausgebildeten Personen im Juch. Die AOZ muss sich zweierlei Kritik gefallen lassen. Zum einen gibt sie selber an, gegenüber den Vorgaben des BfM (Bundesamt für Migration) einen Spielraum für die Gestaltung der Regeln zu haben. Im erläuterten Umgang mit solidarischen Aktionen sehen wir diesen von den Verantwortlichen nicht genutzt. Zum anderen muss die vorgegebene Form der „beschleunigten Asylverfahren“ aus kritischer und fachlicher Sicht verurteilt werden, da wenig bis keine berufsethischen Standards erkennbar sind.

Soziale Arbeit hat sich gegen Repression zu stellen

Soziale Arbeit bzw. Sozialarbeitende befinden sich immer im Widerspruch zwischen objektiver Ordnungsfunktion und subjektivem Willen für progressive Prozesse. Dort wo letzterer Anspruch wegfällt, muss eine Grenze gezogen werden. Organisationen, welche keinen Anspruch an kritischer sowie fachlicher Entwicklung haben, und sich nur noch affirmativ gegenüber den herrschenden Verhältnissen positionieren, haben schlicht nichts mit Sozialer Arbeit zu tun. Diese klare Abgrenzung ist besonders im aktuellen Moment nötig, wo polizeiliche Institutionen ihre repressive Ordnungsfunktion durch SIP (oder auch Jugenddienst) aktiv mit Sozialtechniken anreichern wollen. Repression bleibt Repression – egal ob sie „kommunikativ begleitet“ wird, mit „vertrauensbildenden Massnahmen“ auftritt oder multiethnisch bürgernah verkleidet wird. Soziale Arbeit sollte anderen Logiken folgen.

 

19. Juni 2014 – Forum für kritische Soziale Arbeit – Kriso Zürich

 

[1]BewohnerInnen des Bundeszentrums, die sich mit den AktivistInnen ausserhalb des Zentrums ausgetauscht haben, wurden zurückgedrängt, jedoch nicht kontrolliert.

[2]http://www.stadt-zuerich.ch/content/sd/de/index/arbeitwohnendrogen/gassenpraesenz/sip/angebot.html