Petition für ein soziales Existenzminimum

Im Kanton Bern wurde im September 2013 beschlossen, die Gesamtausgaben der Sozialhilfe pauschal um 10% zu kürzen (Motion Studer). Davon sind hauptsächlich der Grundbedarf, die Integrationszulagen und die situationsbedingten Leistungen betroffen. Als Reaktion darauf haben 7 Organisationen und Parteien eine Petition lanciert, mit der Forderung an den Grossen Rat, auf diese Kürzungen zu verzichten und ein soziales Existenzminimum nach SKOS Richtlinien zu garantieren.

Weshalb unterstützt die KRISO Bern diese Petition?
Als kritische Sozialarbeitende wollen wir reflektieren, was unsere Rolle in der Gesellschaft ist, weshalb es die Soziale Arbeit braucht, welche Machtverhältnisse und gesellschaftliche Strukturen dazu führen, dass so viele Menschen auf Soziale Arbeit angewiesen sind und wie auf diese Strukturen Einfluss genommen werden kann. Wir wollen Armut nicht verfestigen, wir wollen sie auch nicht verwalten, wir wollen nicht über das Leben Anderer bestimmen. Wir wollen die Autonomie der Menschen stärken, mit welchen wir zusammenarbeiten, wir wollen sie dazu befähigen, mündig und selbstbestimmt an der Gestaltung unserer Gesellschaft mitzuwirken. Dazu braucht es mehr als nur Geld. Es braucht jedoch ein soziales Existenzminimum als Grundlage für diese Entwicklung.

In der öffentlichen Diskussion ist die Meinung stark vertreten, dass die Ursachen, sozialhilfeabhängig zu werden, individuell bedingt sind. Fehlende Motivation, fehlende Leistung und ungenügende Bemühungen, sich seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen werden oft genannt. Diese Ursachen gibt es. Die grosse Mehrheit der sozialhilfeabhängigen Personen sind dies jedoch aus anderen Gründen geworden und bemühen sich, so rasch als möglich wieder aus der Sozialhilfe auszusteigen. Die häufigsten Risiken, sozialhilfeabhängig zu werden sind prekäre Arbeitsbedingungen, nicht existenzsichernde Löhne, Unvereinbarkeit von Familie und Beruf, Kinder bekommen, selber Kind einer armutsbetroffenen Familie sein, einen Unfall oder eine Krankheit mit längerfristigen Folgen haben, ausgesteuert werden, zu alt sein, die „falschen“ Qualifikationen für den Arbeitsmarkt zu haben, ungenügender Zugang zu adäquater Bildung und Ausbildung, Flucht und Migration. Viele der soeben genannten Gründe sind durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen geschaffene Strukturen, die verändert werden können. Diese zu verändern ist eine Aufgabe, die die ganze Gesellschaft betrifft, die Menschen, die Politik, die Wirtschaft, es ist die Bekämpfung der Armut auf gesellschaftlicher Ebene.

Gleichzeitig braucht es die Bekämpfung der Armut auf der individuellen Ebene. Es gilt, diejenigen Menschen, die hier und jetzt von Armut betroffen sind, aus welchen Gründen auch immer, zu unterstützen und ihnen den Ausstieg aus der Armut zu ermöglichen. Die Gesellschaft hat eine Verantwortung diesen Menschen gegenüber. Einerseits hat sie diese Verantwortung, da sie Strukturen schafft und aufrechterhält, die diese Armut mitverursachen, andererseits hat sie diese Verantwortung aus einer solidarischen Perspektive heraus. Eine Gesellschaft kann nur als Ganzes funktionieren und zusammenhalten, wenn sie ihre schwächsten Mitglieder stützt und mitträgt. Sonst fällt sie auseinander.

Wir fordern für die Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten, ein soziales Existenzminimum, auf dessen Basis eine autonome Lebensgestaltung und aktive Teilhabe an der Gesellschaft möglich wird. Wir fordern die Politik auf, diese Mittel zur Verfügung zu stellen. Sparen bei der Sozialhilfe heisst sparen bei der Integration von armutsbetroffenen Menschen. Dies hat erstens eine Verfestigung von ungleichen Möglichkeiten zur Folge und führt zweitens längerfristig zu viel höheren Folgekosten. Je länger ein Mensch fürsorgeabhängig ist, desto schwieriger ist der Ausstieg und desto mehr wird soziale Isolation uns Stigmatisierung gefördert. Mit einem sozialen Existenzminimum steigen die Chancen, schneller aus der Fürsorgeabhängigeit auszusteigen.

Die Kürzung der Sozialhilfe wurde in einem Moment beschlossen, in dem der Kanton Bern (die Tendenz ist jedoch gesamtgesellschaftlich zu beobachten) sehr breit und sehr rigoros öffentliche Ausgaben reduziert. Es wird stark im Bereich der Bildung und des Sozialen gespart, also an der Basis der Gesellschaft. Einer Minderheit der Bevölkerung sichert sich ihre Macht- und Besitzansprüche, kann ihre Steuerprivilegien behalten und hat weiterhin eine erweiterte Gestaltungsmacht in unserer Gesellschaft. Dies geschieht auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerung, welche für diese Privilegien der Minderheit bezahlen muss. Sie muss bezahlen, dadurch dass sie sich mit immer weniger Service Public arrangieren muss. Die Bildung für die breite Bevölkerung leidet an Qualität durch die Kürzungen, Behinderten und psychisch Kranken werden Leistungen gestrichen, Sozialhilfeklienten wird durch ein Unterschreiten des sozialen Existenzminimums der Ausstieg aus der Armut erschwert, die Menschen werden zu Arbeitskräften auf Abruf etc. Die Liste ist lang und lässt sich um viele Punkte verlängern.

Wir setzen uns gegen die Kürzung der Sozialhilfe ein, aber nicht, damit der Kanton einfach an einem anderen Ort spart! Wir setzen uns in einem übergeordneten Kontext gegen diese Tendenz der Kürzung der staatlichen Leistungen ein. Wir setzen uns gegen die Verschärfungen im sozialen Bereich und der Bildung ein. Wir setzen uns für eine gerechtere Verteilung von Macht und Besitz ein. Je mehr mündige Menschen an der Gestaltung der Gesellschaft teilhaben, desto eher schützt diese Gesellschaft die Mehrheit der Interessen, anstelle von Partikularinteressen, welche über demokratische Mechanismen als die Interessen der Mehrheit verkauft werden. (Als konkretes Beispiel der ungleichen Macht- und Besitzverteilung: im gleichen Zug der eben beschriebenen Verschärfungen, hat sich der Grosse Rat den eigenen Lohn um 47% erhöht!).

Die Petition „für ein soziales Existenzminimum“ ist eine konkrete Aktion, eine Forderung, die dieses Anliegen an einem konkreten Sachverhalt manifestiert. Es ist eine Handlung im Zuge eines grösseren Kontextes, der sowohl im Rahmen der institutionellen Politik als auch im Rahmen der ausserinstitutionellen Politik verfolgt werden kann. Mit der Petition wurde der Weg über die institutionelle Politik gewählt, auch mit dem Ziel einer Sensibilisierung der Bevölkerung für dieses Thema.

Unterschreiben auf www.soziales-existenzminimum.ch

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