Externer Kommentar zur Veranstaltung: (Re-)Politisierung der Sozialen Arbeit?

Liebe AG Soziokultur der KRISO

Ich verfolge seit einiger Zeit die Bestrebungen der KRISO. Ich finde es sehr gut und wichtig, dass sich kritische Sozialarbeitende auch ausserhalb der Gewerkschaft und des Berufsverbands organisieren. Am letzten Dienstag habe ich erstmals auch an einer Veranstaltung teilgenommen. Die Frage nach der (Re-)Politisierung Sozialer Arbeit hat
mich sehr angesprochen, weil ich aus meiner Forschung zur Geschichte der Sozialen Arbeit einige Ansätze einer „anderen“, einer politisierten Sozialen Arbeit kenne. Ich fand die Veranstaltung auch gut gestaltet. Der Wechsel zwischen Inputs, Podium, Diskussion an den Tischen und
Plenumsdiskussionen hat mir gefallen.

Nur eine kritische Anmerkung will ich Euch gerne zurück melden:
Ich empfand die Auswahl der drei ReferentInnen als zu schmal. Ich hatte den Eindruck, dass diese der  gegenwärtigen Situation der Sozialen Arbeit nicht gerecht wurden. Mehr oder weniger vermittelte mir das Podium, dass alles im grünen Bereich läuft, und es bloss mehr von dem braucht, was bisher schon gedacht und gemacht wurde: Die Soziale Arbeit als service public hat bereits einen politischen Berufskodex und in der Praxis lassen sich mit einer geschickten Herangehensweise gute Ergebnisse erzielen. Von Kritik war wenig zu vernehmen: Warum ist die Soziale Arbeit trotz des politisierten Berufskodex in die Defensive geraten? Warum kommt sie trotz guter Methoden nicht im Sinne ihrer eigenen Ansprüche vorwärts? Welche Zusammenhänge zwischen Gesellschaft einerseits und Sozialer Arbeit als Teil eines service public andererseits spielen eine Rolle und müssten hinterfragt werden? Solche
und ähnliche Fragen wurden vom Podium nicht  angesprochen. Es fehlte dort eine Position,  welche die bisherige Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit radikal in Frage zu stellen in der Lage gewesen wäre. Schlicht:
Es fehlte mir die Position einer „kritischen Sozialen Arbeit“. In der abschliessenden Diskussion kamen einzelne Elemente einer solchen Position dann doch noch zur Sprache. Doch  kohärent und prominent vertreten war sie an dieser Veranstaltung nicht.

Meine Kritik läuft auf den Vorschlag hinaus, an einer weiteren Veranstaltung auch radikalere Positionen zum Zuge kommen zu lassen. Es muss möglich sein, auch das vorherrschende Verständnis von Professionalität in Frage zu stellen, das nicht nur die Praxis, sondern – gerade in Zürich – auch die Theorie durchdrungen hat und – aus meiner Sicht – gefangen hält.

In solidarischer Verbundenheit und mit freundlichen Grüssen
Ruedi Epple

Dr. Ruedi Epple, Lektor
Universität Fribourg
Studienbereich Soziologie, Sozialpolitik und Sozialarbeit