Eine (notwendige) „Punkt-für-Punkt“-Replik auf die AvenirSocial-Medienmitteilung vom 18.11.16

In den folgenden Text wurden die einzelnen Abschnitte der o.g. Medienmitteilung von AvenirSocial eingefügt. Die Mitteilung sowie weiteres Material ist unter www.avenirsocial.ch/de/p42015389.html zu finden.

 

Wir sind sprachlos über das Verhalten der Chefbeamtin im Sozialamt Dübendorf – und schreiben dennoch. Dass fremdenfeindliche Äusserungen in den Social Media grossen Raum einnehmen ist bekannt und zu verurteilen. Als Ausdruck verbreiteter Unzufriedenheit sind diese anonymen „Fäuste im Sack“ ernst zu nehmen. Dass jedoch eine Chefbeamtin einen fremdenfeindlichen, rechtsextremen Text der deutschen NPD verbreitet ist ein Skandal. Die Verwarnung durch die vorgesetzte Behörde erscheint uns eine zu milde Sanktion.

Wer sprachlos ist könnte mit Verweis auf Wittgenstein gut beraten sein, nicht zu schreiben. Denn: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“. Zumindest dann, wenn das Gesprochene bzw. Geschriebene die geneigte Leser_in ihrerseits sprachlos zurücklässt. Sprachlos macht ihm Fall vorliegender Medienmitteilung vor allem die von AvenirSocial verpasste Chance, staatliche Stellen und deren Vertreter_innen in aller Deutlichkeit auf ihre gesetzliche Gebundenheit hinzuweisen, offenbar skandalöse Zustände deutlich anzuprangern und ein alternatives, inhaltlich begründetes Gegenprogramm vorzuschlagen.
Was ist denn nun das Skandalöse an der Verbreitung rechtsextremer Schriften durch eine Behördenchefin? Ist der Skandal, dass kein Strafverfahren wegen einem Verstoss gegen die Rassismus-Strafnorm (Art. 261bis StGB) eingeleitet wird? Oder ist der Skandal, dass die Umtriebe im Sozialamt Dübendorf (wie auch in anderen Sozialämtern der Schweiz) so lange wissend und untätig hingenommen wurden und immer noch werden? Oder ist der Skandal, dass einer offensichtlich rechtsextremen Gesinnung nahestehenden leitenden Staatsangestellten nicht fristlos gekündigt wird? Oder ist der Skandal, dass Professionelle der Sozialen Arbeit scheinbar teils rechtswidrige und zumindest menschenunwürdige Behandlungen von Hilfesuchenden mitgetragen haben bzw. nicht in der Lage waren, diese gängigen Praxen effektiv zu ändern?
Oder ist der Skandal eher die „sprachlos“-schockierte Betroffenheitsrhetorik des massgeblichen Schweizerischen Berufsverbandes für Soziale Arbeit?

Zur allgemeinen Kritik an der Praxis im Sozialamt Dübendorf: Klientinnen und Klienten, die Sozialhilfe beziehen, haben Rechte und Pflichten. Sie haben die Pflicht, ihre finanziellen Verhältnisse wahrheitsgetreu darzulegen bzw. zu belegen. Sie haben an der Erfassung ihrer individuellen und familiären Verhältnisse mitzuwirken und Vereinbarungen einzuhalten. Sie haben das Recht, über ihre Rechte und Pflichten informiert und mit Anstand und Respekt behandelt zu werden.

Aus der Perspektive einer kritischen Sozialen Arbeit irritierend, aber möglicherweise als eine dem allgemeinen öffentlichen Trend folgende Gewichtung zu lesen, ist der Umstand, dass Menschen, die Sozialhilfe beziehen, offenbar in erster Linie konkrete Pflichten zugeschrieben werden. Rechte hingegen bleiben nachrangig und vor allem unbestimmt. Es entsteht der Eindruck, diese legalen Ansprüche könnten mit einem Verweis auf „Anstand und Respekt“ befriedigt werden. „Anstand und Respekt“ dürften wohl allen Menschen, unabhängig davon ob sie auf gesellschaftliche Solidarität und staatlichen Schutz angewiesen sind oder nicht, über den Begriff der Menschenwürde rechtlich zustehen sowie moralisch geboten sein. Der Verweis auf die Pflichten der Klient_innen im Zusammenhang mit dem unakzeptablen Verstoss der Sozialdienstleiterin ist irritierend und reproduziert die scheinbar notwendige Rechtfertigung des Rechts auf Sozialhilfe durch die betroffenen Menschen.

Die Aufgaben im Bereich eines Sozialamtes setzen voraus, sich in die Alltagsverhältnisse dieser Menschen hinein zu denken. Fachleute kennen die Menschenrechte und setzen diese auch „im Kleinen“ um. Verachtung und Schikanen vermeiden sie. Die Umstände ihrer Flucht müssen die Fachleute interessieren. Sie müssen Kenntnisse haben über Bedürfnisse, wie wir sie alle befriedigen müssen, um uns wohl zu befinden gesund zu bleiben. Der Umfang der Sozialhilfe sollte den dafür nötigen Bedarf decken. „Variable“ Wünsche der Klientinnen und Klienten können jedoch nur selten erfüllt werden.

Interessant ist, zu beobachten, wie rasch der Fokus von einer Sozialamtsleiterin mit offenkundig mangelnder Distanz zu rechtsextremen Positionen auf die Sozialhilfebeziehenden gelenkt wird. Mit der Aussage, „variable“ Wünsche von Klient_innen könnten nur selten erfüllt werden, wird suggeriert, dass es beim Sozialhilfebezug um Wunscherfüllung geht und nicht um die existenzielle Deckung von Grundbedürfnissen. Die Tatsache, dass das Existenzminimum in den vergangen Jahren systematisch gesenkt wurde und in repressiven Sozialdiensten wie zum Beispiel in Dübendorf nicht einmal allen Sozialhilfeberechtigen das ohnehin sehr knapp bemessene Existenzminimum ausgerichtet wird, bleibt unerwähnt. Derartige Verschiebungen tragen dazu bei, die Solidarität in der Gesellschaft weiter zu erodieren und den Fokus anstatt auf die steuererleichterte Oberschicht auf die vermeintlich ausufernden Leistungen für Sozialhilfebeziehende zu lenken. So werden Diskriminierungen verschleiert bzw. reproduziert. KRISO erwartet vom Berufsverband, dass repressive Verschärfungen in der Sozialhilfe kritisch kommentiert und die Auswirkungen auf die darin tätigen Sozialarbeitenden analysiert werden.

Die Fachleute müssen wissen, wie man mit frustrierten, verzweifelten und deshalb manchmal aggressiven und fordernden Klientinnen und Klienten spricht, diese über ihre Rechte, Pflichten und mögliche Sanktionen informiert. Wer diese schwierige, oft belastende Aufgabe ausübt, bedarf einer Ausbildung in Sozialer Arbeit und zusätzlich Weiterbildungen zu spezifischen Fragen der Sozialhilfe. Allein die „Verwaltungs- und Behördenlogik“ zu kennen genügt nicht. Der Auftrag verlangt auch Wissen darüber, was es bedeutet, in einem existentiell relevanten Abhängigkeitsverhältnis zur Behörde zu stehen. Fachleute sind sich ihrer legal begründeten Macht bewusst; die Klientinnen und Klienten zu demütigen und zu diskriminieren ist nicht legitim, sondern Machtmissbrauch. Von der zuständigen Behörde muss deshalb erwartet werden, dass sie zur Bewältigung der Aufgaben im Bereich der Sozialhilfe fachlich und menschlich kompetentes Personal beschäftigt.

Auch hier werden negative Stereotype von Menschen, die Sozialhilfe beziehen, reproduziert und verfestigt. Dass gerade wegen solcher Bilder von „frustrierten, verzweifelten, aggressiven und fordernden Klient_innen“ viele armutsbetroffene Menschen in der Schweiz auf den Bezug von Sozialhilfe verzichten, sollte vom Berufsverband bekämpft und sicher nicht forciert werden! In Dübendorf wurde gemäss Zeitungsberichten verschiedenen sozialhilfeberechtigten Armutsbetroffenen die Unterstützung verwehrt bzw. verzichten einige gar auf den Sozialhilfebezug, da sie sich den Beschimpfungen und Abwertungen nicht mehr aussetzen möchten. Grundsätzlich ist die Demütigung und Diskriminierung von Menschen nicht nur illegitim, sondern, wie von Ave- nirSocial eben nicht dargestellt, auch illegal. Staatliches Handeln, das illegal ist, muss auch als solches benannt und verurteilt werden. Um die Illegalität in den geschilderten Vorkommnissen von Dübendorf festzustellen, genügt bereits ein unjuristischer Blick in die Schweizer Bundesverfassung.

Wenn Schweigen aber nun keine Option ist, und das dürften die Dübendorfer Vorkommnisse für einen ernstzunehmenden Berufsverband für Soziale Arbeit auf keinen Fall sein, dann muss es sich bei Kritik um eine massstabsgeleitete Bewertung der Vorkommnisse handeln. An dieser Stelle müsste der/die Leser_in einer Medienmitteilung eines Fachverbandes Sozialer Arbeit eine klare Positionierung dazu erwarten, was denn gelingende, fachlich ansprechende und für die Klient_innen verbindlich erwartbare Soziale Arbeit ausmacht. Diesem Anspruch kommt der Berufs-Verband mit der vorliegenden Stellungnahme nicht nach. Stattdessen findet die Leserschaft eine Auflistung von unverbindlichen sozialarbeitsplausiblen Allgemeinplätzen, die vermutlich gar besagte Leiterin des Sozialamts Dübendorf unterschreiben würde.

Das in der Sozialhilfe angestellte Personal sollte kompetent sein, wer wollte dieser Forderung widersprechen? Eine Ausbildung an einer Fachhochschule oder Höheren Fachschule ist jedoch keine Garantie für Kompetenz, genauso wenig wie eine Mitgliedschaft im Berufsverband oder die Mitarbeit in der KRISO. Aber fürs Erste wäre schon viel gewonnen, wenn Mitarbeitende auf Sozialämtern bei der Erfüllung einer staatlichen Aufgabe sich an das Recht gebunden sähen und dies auch von einer unabhängigen Stelle kontrolliert und im Falle von Verfehlungen sanktioniert werden würde. Sanktionen, die die in der Folge Betroffenen mehr schützen als eine Verwarnung der Verantwortlichen.

KRISO St.Gallen

Medienmitteilung Avenir Social 18.11.2016

Kriso Replik auf die Medienmitteilung 4.12.16